Dune 01: Der Wüstenplanet
kam erst viel, viel später.
»Die Stimme, die dem Land seine Schönheit verleiht«, sagte Chani.
Immer mehr seiner Leute kamen jetzt aus den Zelten. Die Wachen, die weiter draußen ihre Posten bezogen hatten, kehrten zurück ins Lager. Alles um sie herum bewegte sich mit einer Geschäftigkeit, die nach uralten Regeln vorging und keinerlei Anweisungen erforderte.
»Gib so wenig Befehle wie nur möglich«, hatte sein Vater ihm einst erzählt. Es war lange her. »Wenn du einmal damit anfängst, Befehle zu erteilen, wirst du sie immer wieder geben müssen.«
Die Fremen kannten diese Regel rein instinktiv.
Der Wassermeister der Truppe stimmte sein Morgenlied an und fügte diesmal den rituellen Ruf hinzu, der einen zukünftigen Sandreiter ankündigte.
»Die Welt ist ein Körper«, sang der Mann, und seine Stimme wehte klagend über die Dünen. »Wer kann die Todesengel zur Umkehr bewegen? Was Shai-Hulud verfügt hat, soll geschehen.«
Paul hörte ihm zu und stellte fest, daß die gleichen Worte auch den Anfang des Todesliedes seiner Fedaykin bildeten; Worte, die die Todeskommandos rezitierten, ehe sie sich in die Schlacht stürzten.
Wird man eines Tages an dieser Stelle einen Schrein aufstellen, um anzuzeigen, daß man eine weitere Seele verlor? fragte sich Paul. Werden vorbeiziehende Fremen in der Zukunft an dieser Stelle anhalten, dem Schrein einen weiteren Stein hinzufügen und Muad'dibs gedenken, der hier starb?
Er wußte, daß diese Alternative nicht unmöglich war. Sein Tod war eine der Raum-Zeit-Linien, die er von seiner momentanen Position aus sehen konnte. Und diese zweifelhafte Vision, die nichts Konkretes aussagte, machte ihn krank. Je mehr er sich weigerte, sich dem schrecklichen Ziel hinzugeben, je mehr er gegen die Vision des Djihads ankämpfte, desto größer wurden die Schwierigkeiten, ein exaktes Abbild der Zukunft vor seinem inneren Auge zu erzeugen. Alles, was er sah, glich einem schäumenden Strom, der sich einen Weg durch eine Alptraumlandschaft bahnte und sich in einem Gewirr aus Felsen, Wolken und Nebelbänken in der Unendlichkeit verlor.
»Da kommt Stilgar«, sagte Chani. »Ich muß mich jetzt von dir fernhalten, Geliebter. Von jetzt an werde ich die Sayyadina sein, deren Aufgabe es ist, die Einhaltung der Regeln zu überwachen und sie zu einem Teil der Chronik zu machen.« Sie schaute einen Moment lang zu Paul auf und erweckte den Eindruck, als sei sie dabei, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren und ihm um den Hals zu fallen. Es geschah jedoch nichts dergleichen. »Wenn dieser Tag Vergangenheit geworden ist«, fügte sie hinzu, »bereite ich dir dein Frühstück mit den eigenen Händen.« Dann ging sie fort.
Mit den Schritten seiner Stiefel kleine Sandwölkchen aufwirbelnd, kam Stilgar auf Paul zu. Die dunklen Augenhöhlen des Mannes waren auf ihn gerichtet. Ein Stück seines dunklen Bartes war zu erkennen, sonst sah man von seinem Gesicht nicht viel. Stilgar trug das Banner Pauls – das grüne und schwarze Banner, in dessen Stab sich ein Wasserschlauch befand –, das sich bereits einen legendären Ruf im ganzen Land erworben hatte. Mit ein wenig Stolz dachte Paul: Ich kann nicht einmal die einfachste Sache tun, ohne daß nicht jemand eine Legende daraus macht. Sie werden sich merken, wie Chani eben fortging und wie ich jetzt Stilgar begrüßen werde – jede Bewegung, die ich heute mache, werden sie aufzeichnen. Leben oder sterben – es wird eine Legende daraus werden. Aber ich darf nicht sterben. In einem solchen Fall würde alles zur Legende werden. Und niemand würde den Djihad aufhalten.
Stilgar rammte das Banner neben Paul in den Sand und ließ die Arme sinken. Seine tiefblauen Augen blieben ausdruckslos und brachten Paul auf den Gedanken, wie er wohl selbst in diesem Augenblick aussehen mochte. Denn der ständige Gewürzkonsum war auch bei ihm nicht ohne Folgen geblieben. Auch er versteckte sich hinter einer Maske undurchdringlicher Bläue.
»Sie haben uns die Hadj verweigert«, sagte Stilgar mit rituellem Ernst.
Und genau wie Chani es ihn gelehrt hatte, erwiderte Paul: »Wer kann einem Fremen das Recht verweigern, zu gehen oder zu reiten, wohin er will?«
»Ich bin ein Naib«, fuhr Stilgar fort, »der niemals lebend in die Hände seiner Feinde fällt. Ich bin ein Drittel des tödlichen Dreibeins, das unsere Gegner vernichten wird.«
Es wurde still um sie herum.
Paul warf einen Blick auf die anderen Fremen, die sich hinter Stilgars Rücken auf dem Sand versammelt
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