Dune 01: Der Wüstenplanet
hatten; er sah, daß die Art, in der sie dastanden, ausdrückte, welche Empfindungen sie beim Anhören der Worte bewegten. Und er fragte sich, wie sie den Lebenskampf überstanden hatten, bevor ihnen ein Mann wie Liet-Kynes begegnet war.
»Wo ist der Herr, der uns durch das Land der Wüsten und Höhlen geführt hat?« fragte Stilgar.
»Er ist stets bei uns«, erwiderten die Fremen.
Stilgar hob die Schultern, ging näher an Paul heran und senkte seine Stimme. »Erinnere dich jetzt an das, was ich dir gesagt habe. Gehe einfach und direkt vor und unternehme keine waghalsigen Experimente. Es ist bei unserem Volk Sitte, den Bringer im Alter von zwölf Jahren zu reiten. Du bist mehr als sechs Jahre über dieses Alter hinaus und für dieses Leben nicht geboren. Es gibt keinen Grund, die anderen beeindrucken zu müssen. Wir wissen, daß du ein tapferer Mann bist. Alles, was du tun mußt, ist, den Bringer zu rufen und ihn zu besteigen.«
»Ich werde daran denken«, versprach Paul.
»Ich hoffe, daß du das wirst. Ich hoffe ebenso, daß du deinen Lehrer nicht blamierst.«
Stilgar zog einen meterlangen Plastikstab unter seiner Robe hervor. Das Ding besaß an einem Ende eine Spitze und am anderen einen federbetriebenen Klopfer. »Ich habe diesen Klopfer selbst eingestellt. Es ist ein guter. Nimm ihn.«
Paul nahm ihn. Der Plastikgriff fühlte sich warm und weich an.
»Shishakli hat deine Haken«, sagte Stilgar. »Er wird sie dir geben, sobald du zu dieser Düne da hinten gehst.« Er deutete nach rechts. »Rufe deinen großen Bringer, Usul, und zeige uns, was du gelernt hast.«
Stilgars Tonfall glich nun einer exakten Mischung aus Ritual und freundschaftlicher Besorgtheit.
In diesem Moment schob sich die Sonne über den Horizont. Der Himmel war von jenem silbrigen Blaugrau, das darauf hinwies, daß es ein Tag extremer Hitze – selbst für die Verhältnisse auf Arrakis – werden würde.
»Es wird ein Tag der Trockenheit«, sagte Stilgar in einem Tonfall, der jetzt nur noch das Ritual beinhaltete. »Geh nun, Usul, und reite den Bringer, gleite über den Sand, wie es eines Führers der Menschen würdig ist.«
Paul salutierte vor seinem Banner und stellte fest, wie schlaff die Flagge, jetzt, wo der Wind gestorben war, herabhing. Dann wandte er sich der Düne zu, auf die Stilgar gezeigt hatte, ein S-förmiges Gebilde von schmutzigbrauner Farbe. Der Rest der Truppe war bereits dabei, in die entgegengesetzte Richtung davonzugehen; auf die andere Düne zu, in deren Schutz sie ihr Lager aufgeschlagen hatten.
Nur ein Mann blieb in Pauls Nähe zurück: Shishakli, ein Brigadeführer der Fedaykin. Die Kapuze verbarg sein Gesicht so, daß lediglich die Augen erkennbar waren.
Als Paul auf ihn zuging, hielt Shishakli ihm zwei dünne Haken entgegen, die an etwa anderthalb Meter langen, peitschenähnlichen Stäben hingen. Die Haken selbst waren aus Plastahl, während die Stabgriffe aus einem aufgerauhten Stoff bestanden, an denen die Hände nicht so leicht abgleiten konnten.
Wie es das Ritual erforderte, nahm Paul die Gegenstände mit der linken Hand entgegen.
»Es sind meine eigenen Haken«, sagte Shishakli mit heiserer Stimme. »Sie haben noch niemals versagt.«
Paul nickte, behielt das rituelle Schweigen bei und ging an dem Mann vorbei auf die Düne zu. Auf ihrer Spitze machte er eine Drehung und blickte auf die anderen zurück, die sich mit flatternden Roben wie ein aufgeregter Heuschreckenschwarm auf die andere Düne zurückzogen. Er stand jetzt allein auf dem Dünenkamm, und vor ihm befand sich nichts als ein endloser Horizont, der flach war und auf dem sich nicht die kleinste Bewegung zeigte. Stilgar hatte eine gute Düne für ihn ausgesucht; sie war höher als alle anderen in der näheren Umgebung.
Paul bückte sich und versenkte die Spitze des Klopfers tief in die dem Wind zugewandte Seite der Düne, wo der Sand so kompakt war, daß er das Geräusch des Lockmittels weithin tragen würde. Dann wartete er ab und dachte an die Lektionen Stilgars und der beiden Alternativen, denen er jetzt ins Angesicht sehen mußte: Erfolg oder Tod.
Sobald er die Sperre ausklinkte, würde der Klopfer zu arbeiten anfangen. Irgendwo dort draußen im Sand würde ein gigantischer Wurm – ein Bringer – die Klopfgeräusche hören und sich ihnen nähern. Mit den peitschenähnlichen Hakenstäben – das war Paul klar – konnte er den geschwungenen und hohen Rücken des Bringers erklimmen. Und solange der Vorderrand eines Ringsegments durch die
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