Dune 01: Der Wüstenplanet
automatisch folgte, was Paul getan hatte.
»Du hast das heilige Wasser getrunken!« rief sie erschreckt aus.
»Einen Tropfen«, bestätigte Paul. »Ganz wenig ... nur einen Tropfen.«
»Wie konntest du nur eine solche Torheit begehen?« fragte Jessica.
»Er ist dein Sohn«, erklärte Chani.
Jessica sah sie überrascht an.
Ein warmes, verständnisvolles Lächeln zeigte sich auf Pauls Gesicht. »Hör auf meine Geliebte, Mutter«, sagte er. »Hör ihr zu. Sie weiß, was sie sagt.«
»Was andere konnten, mußte er ebenfalls tun«, sagte Chani.
»Als der Tropfen auf meiner Zunge lag, als ich ihn fühlte und schmeckte«, fügte Paul hinzu, »als ich erkannte, was mit mir geschah, wußte ich, daß ich in der Lage bin, das gleiche zu tun wie du. Die Bene Gesserit sprachen davon, daß dem Kwisatz Haderach Erkenntnisse zuteil werden würden, die ihnen selbst verborgen geblieben sind. Aber sie können sich nicht einmal vorstellen, wie weit ich darüber hinausgegangen bin. In den wenigen Minuten, in denen ich ...«
Er verstummte, als er sah, daß Chani ihn stirnrunzelnd ansah. »Chani? Was tust du denn hier? Du solltest doch an sich ... Warum bist du hier?«
Er versuchte sich auf den Ellbogen zu stützen, aber Chani drückte ihn sanft wieder auf das Lager. »Bitte, Usul«, sagte sie dabei.
»Ich fühle mich so schwach«, bekannte Paul und blickte sich um. »Wie lange habe ich hier gelegen?«
»Du hast dich drei Wochen lang in einem Koma befunden, das so stark war, daß man dich kaum noch zu den Lebenden zählen konnte«, erklärte Jessica.
»Aber es war ... für mich hat das alles nur einen Moment ...«
»Für dich war es nur ein Moment, aber für mich waren es drei lange Wochen«, sagte Jessica.
»Nur ein Tropfen, aber ich verwandelte ihn«, murmelte Paul. »Ich veränderte das Wasser des Lebens.« Und bevor Jessica und Chani ihn daran hindern konnten, tauchte er seine Hand in das Gefäß, das neben ihm auf dem Boden stand, und steckte die befeuchteten Finger in den Mund.
»Paul!« schrie Jessica in Panik.
Er griff nach ihrer Hand, bedachte sie mit einem Lächeln, das Jessica zutiefst erschreckte und verwirrte, und sagte: »Ihr sprecht von einem Ort, an den euer Bewußtsein nicht vordringen kann? Ein Ort, den selbst die Ehrwürdige Mutter mit ihren Geisteskräften nicht erreichen kann? Zeig ihn mir!«
Jessica schüttelte den Kopf. Allein der Gedanke erfüllte sie mit Entsetzen.
»Zeig ihn mir!« befahl Paul.
»Nein!«
Aber dennoch gelang es ihr nicht, sich ihm zu entziehen. Gefangen von der schrecklichen Macht, die er jetzt besaß, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Augen zu schließen und den Blick nach innen zu richten – in das Dunkel absoluter Finsternis.
Pauls Bewußtsein umgab sie plötzlich, schien ihr zu folgen und gleichsam in die Schwärze einzutreten. Vor ihr befand sich etwas – ein im Nebel liegender Ort, vor dem sie zurückschreckte. Ohne zu wissen warum, begann sie zu zittern. Da war etwas, eine Region, in der es windig war, in der sich in mattem Licht sanfte Schatten formten, die an ihr vorbeizogen, ohne daß sie auch nur die Gelegenheit erhielt, sich eingehender mit ihnen zu befassen. Dunkelheit und Lichtsphären umgaben sie gleichzeitig – und über allem wehte der Wind aus dem Nichts.
Als sie plötzlich die Augen öffnete, stellte sie fest, daß Paul sie anstarrte. Er hielt noch immer ihre Hand gepackt, doch war der dämonische Ausdruck von seinem Gesicht verschwunden; es schien, als hätte er eine Maske abgenommen. Jessica taumelte zurück und wäre hingefallen, hätte Chani sie nicht im letzten Moment aufgefangen.
»Ehrwürdige Mutter«, hörte sie das Mädchen sagen. »Was ist geschehen?«
»Ich bin ... müde«, flüsterte Jessica. »So ... müde.«
»Hier«, sagte Chani und führte sie zu einem an der Wand bereitstehenden Sitzkissen. »Nimm Platz.«
Es war ein gutes Gefühl, von ihren kräftigen Armen gehalten zu werden. Willenlos ließ Jessica sich leiten.
»Er hat also wirklich durch das Wasser des Lebens gesehen?« fragte Chani und befreite sich von Jessicas Armen, die sie noch immer umschlungen hielten.
»Er hat gesehen«, wisperte Jessica. Noch immer machte ihr der Gedanke daran stark zu schaffen. Sie fühlte sich so unsicher wie jemand, der nach langen Wochen auf See zum erstenmal wieder Festland betritt. Erneut fühlte sie das Bewußtsein der alten Ehrwürdigen Mutter in sich. Auch deren Vorgängerinnen schienen nun zu erwachen und fragten: »Was war das? Was
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