Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
fühlte den Blick künftiger Generationen auf sich gerichtet, fühlte sich ausgestoßen, losgekettet von den Ringen des Schicksals, mächtig und hilflos zugleich, Antreiber und Getriebener. »Ich wurde auserwählt«, sagte er. »Vielleicht bei meiner Geburt ... ganz gewiß, bevor ich etwas zu sagen hatte. Ich wurde für ein Amt ausersehen.«
»Du kannst abdanken«, sagte sie.
Sein Arm drückte ihre Schulter fester. »Zur rechten Zeit, Liebes. Gib mir noch ein bißchen Zeit.«
Unvergossene Tränen brannten in seinen Augen.
»Wir sollten nach Sietch Tabr zurückkehren«, sagte Chani. »In diesem Palast findet man keine Ruhe.«
Er nickte. Sietch: das alte Wort der Fremen bezeichnete einen Zufluchtsort in Zeiten der Gefahr. Chanis Vorschlag erweckte in ihm eine Sehnsucht nach der Wüste.
»Die Stämme erwarten, daß Muad'dib zu ihnen zurückkehrt«, sagte sie. Sie hob den Kopf. »Du gehörst zu uns.«
»Ich gehöre einer Vision«, murmelte er.
Und er dachte an den Djihad und an die Vision, die ihm zeigte, wie er ihn beenden könnte. Sollte er den Preis bezahlen? Der Haß würde verdampfen, in sich zusammenfallen wie ein ausgebranntes Feuer. Aber der furchtbare Preis!
Ich wollte nie ein Gott sein, sagte er sich.
»Werden wir nach Sietch Tabr zurückgehen?« drängte sie.
»Ja«, flüsterte er. Und er dachte: Ich muß den Preis bezahlen.
Chani seufzte tief und ließ den Kopf wieder auf seine Schulter sinken.
Ich habe meine Zeit vertrödelt, dachte er. Und er sah, wie er von selbsterrichteten Mauern eingeschlossen gewesen war. Und was war ein Leben, gleichgültig wie sehr man es liebte, gegen die vielen Leben, die der Djihad genommen hatte und noch nehmen würde? Konnte das Elend eines einzelnen gegen die Todesqualen von vielen aufgewogen werden?
»Paul?« sagte Chani fragend.
Er legte einen Finger an ihre Lippen.
Ich werde mich aufgeben, dachte er. Ich werde mich davonmachen, solange ich die Kraft habe, verschwinden wie ein Tautropfen in der Morgensonne. Es war ein nutzloser Gedanke, er wußte es. Der Djihad würde ohne ihn weitertoben.
Wie konnte er das verhindern? Welche Erklärungen konnte er geben, wenn die Leute ihn mit brutaler Dummheit zur Rede stellten? Wer würde verstehen?
Ich wollte nur zurückblicken und sagen: »Da ist eine Existenz, die mich nicht halten konnte. Seht! Ich verschwinde! Kein Netz menschlicher Machart kann mich je wieder fangen. Ich schwöre meiner Religion ab und verabscheue alles Blutvergießen, das in ihrem Namen angerichtet wurde! Dieser glorreiche Augenblick gehört mir! Ich bin frei!«
Welch leere Worte!
»Gestern wurde diesseits des Gebirges ein großer Wurm gesehen«, sagte Chani. »Mehr als hundert Meter lang, heißt es. So große kommen nur noch selten in diese Gegend. Das Wasser stößt sie ab, nehme ich an. Es heißt, dieser sei gekommen, Muad'dib in seine Wüste heimzurufen.« Sie stieß ihn mit dem Ellbogen.
»Lach mich nicht aus!«
»Ich lache nicht.«
Paul, ergriffen von Verwunderung über die Beharrlichkeit nomadischer Mythen, verspürte eine Beklemmung, eine ihm auferlegte Heimsuchung: adab, die fordernde Erinnerung. Er fühlte sich ins Zimmer seiner Kindheit auf Caladan versetzt ... dunkle Nacht in der steinernen Kammer ... eine Vision! Es war einer seiner frühesten seherischen Augenblicke gewesen. Er fühlte seinen Geist in die Vision eintauchen, sah in verschleierter Erinnerung eine Reihe Nomaden in staubbedeckten Kleidern. Sie zogen langsam an einer keilförmigen Öffnung zwischen hohen Felsen vorbei. Sie trugen eine längliche, in Stoff gehüllte Last.
Und Paul hörte sich selbst in dieser Vision sagen: »Die Tragik war immer gegenwärtig ... nur du lehrtest mich, sie zu vergessen ...«
Adab ließ ihn los.
»Du bist so still«, flüsterte Chani. »Was ist?«
Paul schauderte. Er richtete sich im Bett auf, das Gesicht abgewandt.
»Du bist ärgerlich, weil ich am Rand der Wüste gewesen bin«, sagte Chani.
Er schüttelte wortlos den Kopf.
»Ich ging nur, weil ich ein Kind will«, sagte Chani.
Paul war unfähig zu sprechen. Die Macht dieser frühen Vision voll düsterer Vorbedeutung hatte ihn überwältigt. Sein ganzes Leben war in diesem Moment ein vom Auffliegen eines Vogels geschüttelter Zweig – und der Vogel war das Schicksal.
Ich bin der Lockung des Orakels erlegen, dachte er.
Und er fühlte, daß dieses Erliegen ihn auf ein eingleisiges Leben fixieren mochte. Konnte es sein, fragte er sich, daß das Orakel nicht die Zukunft
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