Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
Alte ihn nicht einlassen?
»Kannten Sie meinen Sohn?« fragte der alte Mann.
Das endlich war eine Antwort und zugleich eins der vereinbarten Gegenzeichen. Scytale gab die erwartete Erklärung ab, während er mit den Augen pausenlos nach verdächtigen Bewegungen in der Umgebung suchte. Die Stelle gefiel ihm nicht. Die Straße war eine Sackgasse und endete vor diesem Haus. Das Viertel war für Veteranen aus dem Heiligen Krieg errichtet worden und bildete einen Vorort von Arrakeen. Die Straßen waren schmal und wurden von den mehrstöckigen, lehmfarbenen Häusern noch mehr eingeengt. Wenige und kleine Fensteröffnungen gliederten die Fassaden, und die Wände zwischen den meist verschlossenen Türen waren mit Obszönitäten bekritzelt. Direkt neben der Tür, vor der er stand, hatte jemand mit Kreide verkündet, daß ein gewisser Beris eine verächtliche Krankheit nach Arrakis gebracht habe, die ihn seiner Männlichkeit beraube.
»Kommen Sie in Begleitung?« fragte der alte Mann.
»Allein«, sagte Scytale.
Der alte Mann räusperte sich, zögerte noch immer. Scytale zwang sich zur Ruhe, ließ sich seine wachsende Ungeduld nicht anmerken. Kontakte dieser Art bargen Gefahren. Vielleicht hatte der Alte einen triftigen Grund für sein Verhalten. Andererseits war es die günstigste Zeit für den Besuch; die Sonne stand fast im Zenit. Es war die Stunde, wo die Leute in ihren Häusern blieben und die Mittagshitze verschliefen.
War es der neue Nachbar, der den alten Mann beunruhigte? Scytale wußte, daß das Nebenhaus erst vor kurzem einem gewissen Otheym zugewiesen worden war, einem einstigen Mitglied von Muad'dibs gefürchteten Todeskommandos. Und Otheyms Hausgenosse war Bijaz, der Zwerg.
Scytale ließ seinen Blick zu dem Alten zurückkehren, bemerkte den leeren Ärmel, der von seiner Schulter baumelte. Eine gewisse Autorität ging von diesem alten Mann aus. Er hatte im Djihad nicht als einfacher Fußsoldat gedient.
»Darf ich Ihren Namen wissen?« fragte der alte Mann.
Scytale unterdrückte einen Seufzer der Erleichterung. Er wurde also doch noch eingelassen. »Ich bin Zaal«, sagte er. Es war der Name, der ihm für diese Mission zugeteilt war.
»Und ich bin Farok«, sagte der alte Mann. »Früher einmal Bashar, Neunte Legion im Djihad. Sagt Ihnen das etwas?«
Scytale las eine Drohung in den Worten und sagte höflich: »Sie wurden in Sietch Tabr geboren, dem Zentrum von Stilgars Stamm.«
Farok entspannte sich und trat zurück. »Sie sind willkommen in meinem Haus.«
Scytale ging an ihm vorbei in eine halbdunkle Vorhalle mit blauem Fliesenboden. Hinter der Vorhalle war ein überdachter Innenhof. Durch das Milchglas sickerte gedämpftes Sonnenlicht. Die Straßentür fiel hinter ihm zu.
»Wir waren ein stolzes Volk«, sagte Farok, während er seinen Gast zum Innenhof führte. »Wir waren Fremen. Wir lebten nicht in städtischen Massenquartieren zusammengedrängt – wie hier. Wir hatten unseren Stammessitz im Gebirge. Ein Wurm konnte uns in die innere Wüste tragen.«
»Nicht wie hier«, sagte Scytale mit verständnisinnigem Kopfnicken; er wußte jetzt, was Farok zu den Verschwörern geführt hatte. Er sehnte sich nach den alten Tagen und der alten Lebensweise. Sie betraten den Innenhof.
Scytale entging nicht, daß Farok einen inneren Kampf ausfocht, der offenbar mit einer starken instinktiven Abneigung gegen seinen Besucher zusammenhing. Ein echter Wüstenbewohner mißtraute Augen, die nicht vom totalen Blau des Ibad waren. Leute von fremden Welten, so hieß es auf Arrakis, hatten Augen, die Dinge sahen, die sie nicht sehen sollten.
Bei ihrem Eintreten hatte die Semuta-Musik aufgehört. Sie wurde nun von den weichen Saitenklängen eines Baliset abgelöst. Zuerst waren es bloße Akkorde, dann wurde daraus die Melodie eines Lieds, das bei den Stämmen der Naradj beliebt war.
Scytale sah einen jungen Burschen mit gekreuzten Beinen auf einem niedrigen Diwan unter Bögen zu seiner Rechten sitzen. Die Augen des Jungen waren leere Höhlen, aber mit der unheimlichen Sicherheit des Blinden begann er in genau dem Augenblick zu singen, als Scytale seine Aufmerksamkeit auf ihn richtete.
»Ein Wind hat fortgeblasen das Land
und fortgeblasen den Himmel
und alle die Menschen.
Sag, wer ist der Wind?
Zu viele Welten hab ich gekannt,
zu viele Menschen,
zu viele Winde.«
Scytale bemerkte, daß es nicht der Originaltext des Liedes war. Farok führte ihn von dem Jungen fort und unter die Bögen auf der anderen Seite, wo
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