Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
abhängig sein. Meist wird sie von Dingen beeinflußt, die so klein und unwichtig scheinen, daß man sie ignoriert ... Der Streit zweier Frauen zum Beispiel. Oder der Wind, der an bestimmten Tagen aus bestimmten Richtungen weht. Ob die Herrschenden ihre Herrschaft aufrechterhalten können, kann davon abhängig sein, ob sich Husten und Schnupfen ausbreiten oder zufällig vorbeitreibende Sandkörner die Sicht behindern. Es ist in Wirklichkeit selten der Fall, daß die Herrschenden den Verlauf der Geschichte diktieren. In Wahrheit hängt sie mehr vom Schnitt eines Gewandes ab als von den Predigern, die vorgeben, der verlängerte Arm Gottes zu sein.«
Farad'n stellte fest, daß ihn diese Worte beeindruckten, auch wenn er in diesem Moment nicht fähig war, sich über seine Gefühle klar zu werden.
Ein Vergleich hatte allerdings Tyekaniks Mißtrauen hervorgerufen. Aus welchem Grund hatte dieser Prediger vom Zuschnitt eines Gewandes gesprochen? Er dachte an die Gewänder, die man den Atreides-Zwillingen unterzuschieben gedachte; an jene, die anzugreifen man die Tiger gelehrt hatte. Warnte der alte Mann sie auf unterschwellige Weise vor ihrem Vorhaben? Wieviel wußte er?
»Was bedeutet dieser Rat?« fragte Farad'n.
»Wenn Ihre Pläne erfolgreich sein sollen«, erklärte der Prediger, »sollten Sie Ihre Strategie auf sie selbst reduzieren. Wie jedoch geht man strategisch vor? Indem man von einem bestimmten Punkt aus gegen bestimmte Leute operiert. Aber selbst wenn man mit dem perfektesten taktischen Plan arbeitet, werden einem kleine, unwichtig erscheinende Details entgehen. Können Ihre Pläne, Prinz, auf die Ambitionen der Frau eines regionalen Herrschers Rücksicht nehmen?«
Mit kalter Stimme warf Tyekanik ein: »Was redest du hier über strategisches Vorgehen, Prediger? Auf was, glaubst du, zielen die Pläne meines Prinzen ab?«
»Man versucht ihm einzureden, daß er einen Thron benötigt«, erwiderte der Prediger. »Ich wünsche ihm Glück, wenn er dies erreichen will. Aber um dies zu erreichen, wird er mehr benötigen als nur das.«
»Du redest gefährliche Worte«, gab Farad'n dem Prediger zu bedenken. »Woher nimmst du diesen Mut?«
»Ambitionen tendieren dahin, sich nicht an der Realität zu orientieren«, sagte der Prediger. »Ich wage es, diese Worte auszusprechen, weil ich sehe, daß Sie sich an einem Kreuzweg befinden. Aus Ihnen könnte ein verehrungswürdiger Mann werden, aber im Moment sind Sie umgeben von Kräften, die keine moralischen Grundsätze kennen, sondern lediglich strategisch denken. Sie sind jung, stark und zäh, aber Ihnen fehlt eine bestimmte Ausbildung, die Ihren Charakter festigt. Und das ist schade, weil Sie über Schwächen verfügen, deren Dimensionen ich Ihnen beschrieben habe.«
»Was soll das bedeuten?« fragte Tyekanik.
»Achte auf deine Worte«, sagte Farad'n und fragte: »Welche Schwächen meinst du?«
»Sie haben noch keinen Gedanken daran verschwendet, welcher Art von Gesellschaft Sie den Vorzug geben«, führte der Prediger aus. »Sie haben das Ziel Ihrer Wünsche noch nicht erkannt. Selbst das Aussehen des Imperiums, das Sie sich vorstellen, hat in Ihnen noch keine reale Gestalt angenommen.« Der Maskierte wandte sich zu Tyekanik um. »Sie sehen nur die Macht, nicht jedoch das, was aus ihr erwachsen kann oder ihre Gefahren. Ihre Zukunft ist angefüllt mit offensichtlichen Unbekannten: Mit sich zankenden Frauen, Husten und windigen Tagen. Wie wollen Sie eine neue Ära einleiten, wenn Sie nicht in der Lage sind, Details zu erkennen? Ihr momentanes Selbstbewußtsein wird Ihnen nicht dienlich dabei sein. Und darin liegt Ihre Schwäche.«
Farad'n sah den alten Mann lange Zeit an und fragte sich, welche geistige Tiefe solchen Gedanken zugrunde liegen mochte. Moral! Gesellschaftliches Bewußtsein! Für ihn stellten das Mythen dar, die man auf dem langen Weg einer sich weiterentwickelnden Evolution getrost beiseite schieben konnte.
Tyekanik sagte: »Wir haben jetzt genug gehört. Was ist mit deiner Zusage, Prediger?«
»Duncan Idaho gehört euch«, erwiderte der Prediger. »Aber behandeln Sie ihn mit Sorgfalt. Er ist unersetzlich.«
»Oh, wir werden schon auf ihn achtgeben«, sagte Tyekanik und warf Farad'n einen kurzen Blick zu. »Ihre Anweisungen, mein Prinz?«
»Er soll gehen, bevor ich meine Meinung ändere«, erwiderte Farad'n. Und zu Tyekanik gewandt: »Ich mag die Art nicht, in der Sie mich überrumpelten, Tyek.«
»Verzeihen Sie ihm, Prinz«, sagte der Prediger.
Weitere Kostenlose Bücher