Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
sprechen.«
»Na gut. Alia kämpfte gegen das, was auf sie zukam, an. Und das führte dazu, daß sie zu dem wurde, was sie am meisten fürchtete. Man kann die Vergangenheit nicht auf einen Unvorbereiteten loslassen. Wenn dies schon eine große Gefahr für jeden gewöhnlichen Menschen bedeutet, so ist es für uns Vorgeborene schlimmer als der Tod. Und das ist alles, was ich über Alia sagen will.«
»Du bist also wirklich kein Kind mehr«, stellte Jessica fest.
»Ich bin eine Million Jahre alt, und das erfordert eine Anpassung, zu der kein Mensch zu keiner Zeit je gezwungen war.«
Jessica nickte. Sie fühlte sich jetzt etwas abgeklärter, aber immer noch ging sie vorsichtiger zu Werke als bei ihrem Gespräch mit Ghanima. Wo steckte sie überhaupt? Warum war Leto allein zu ihr gekommen?
»Nun, Großmutter«, sagte Leto, »sind wir die Verfluchten oder stellen wir die Hoffnung der Atreides dar?«
Jessica ignorierte die Frage. »Wo ist deine Schwester?«
»Sie lenkt Alia ab, damit wir hier ungestört reden können. Und das ist absolut notwendig. Aber auch sie könnte dir nicht mehr erzählen als ich. Hast du das nicht gestern schon gemerkt?«
»Was ich gestern gemerkt habe, ist meine Sache. Aber was soll das Geschwätz über die Verfluchten?«
»Geschwätz?« fragte Leto. »Verschone mich mit dieser Bene-Gesserit-Heuchelei, Großmutter. Wenn du es darauf anlegst, kann ich in der gleichen Art kontern, ohne daß es mir die geringsten Schwierigkeiten macht. Und das ist kein Problem, weil deine Erinnerungen auch die meinen sind. Ich möchte schon mehr von dir sehen, als lediglich das verunsicherte Zittern deiner Lippen.«
Jessica schüttelte den Kopf, als sie der Gefühlskälte dieser ... Person teilhaftig wurde, die ihr eigenes Fleisch und Blut war. Die Findigkeit, mit der er gegen sie vorging, war entmutigend. Um sich nichts anmerken zu lassen, sagte sie scharf: »Welche Ziele, glaubst du, verfolge ich mit meinen Fragen?«
Leto zog die Nase hoch. »Du brauchst dich nicht mehr zu fragen, ob ich bereits den Fehler meines Vaters wiederholt habe. Ich habe bisher keinen Blick in die Zeit geworfen – zumindest habe ich nicht danach gestrebt, es zu tun. Was ich über die Zukunft erfahren will, überlasse ich den Momenten des déjà vu, die jeder Mensch irgendwann erlebt. Ich weiß, welche Gefahr die Vorhersehung in sich trägt, das hat das Leben meines Vaters mir klargemacht. Nein, Großmutter – die Zukunft in ihrer Gänze kennenlernen zu wollen, heißt, von ihr eingefangen zu werden. Die Zeit würde aus den Fugen geraten, die Gegenwart würde zur Zukunft. Und das ist nicht die Freiheit, die ich für mich beanspruche.«
Jessica spürte plötzlich, daß sie die Lippen bewegte, ohne einen Ton zu sagen. Wie sollte sie in der Lage sein, ihm zu antworten, wenn er die Antwort bereits kannte? Es war unglaublich! Er ist es! Er ist mein geliebter Leto! Der Gedanke schockierte sie und führte gleichzeitig zu der Vorstellung, daß sich die Gesichtszüge des Jungen veränderten und jene annahmen, die ... Nein!
Leto senkte den Kopf und hob den Blick, um sie anzusehen. Ja, es würde kein Problem sein, sie zu steuern. Er sagte: »Wenn du so über das zweite Gesicht denkst, wie die meisten Menschen, unterscheidest du dich möglicherweise nicht von ihnen. Die meisten Leute stellen es sich schön vor, zu wissen, wie die Zukunft aussieht, zumindest was die Preise von Walpelzen angeht oder ob ein Harkonnen jemals wieder Giedi Primus beherrschen wird. Aber wir kennen die Harkonnens, auch ohne einen Blick in die Zukunft zu tun, nicht wahr, Großmutter?«
Jessica weigerte sich, auf diesen Einwurf einzugehen. Ohne Frage war Leto über das verfluchte Harkonnenblut seiner Vorfahren informiert.
»Wer ist ein Harkonnen?« fragte er herausfordernd. »Wer ist das Ungeheuer Rabban? Einer von uns, nicht wahr? Aber ich schweife ab. Reden wir vom populären Mythos des Hellsehens: es bedeutet, die Zukunft absolut zu erfahren! Alles, was in ihr auf uns zukommt. Was könnte man nicht alles aus einem solchen Wissen machen, wie? Der Pöbel glaubt das jedenfalls. Er glaubt, wenn ein wenig von Etwas gut ist, müßte eine große Menge davon noch besser sein. Wie genial! Und wenn man einem von ihnen das komplette Szenario seines Lebens liefern würde, angefangen bei irgendeinem platten Gespräch bis zur Minute seines unausweichlichen Todes – was würde das für ein herrliches Geschenk für ihn sein! Welch unglaubliche Befriedigung! Er könnte sich in
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