Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
Großmutter – kein Unterlegener?«
Leto musterte sie einen Moment lang, dann sagte er: »Du kennst die Antwort ebensogut wie ich. Als sie nach Arrakis kamen, haben sie sich sicher gefühlt. Die Gewürztrance ... nun ...« Er zuckte die Achseln. »Keiner von beiden wurde auf dieser Welt geboren. Ihre Vorfahren kamen von anderswo. Doch Alia ...«
»Warum hat sie den Warnungen der Bene Gesserit keinen Glauben geschenkt?« Ghanima biß sich auf die Unterlippe. »Alia besaß die gleichen Informationen wie wir, also hätte sie ihre eigenen Schlüsse ziehen können.«
»Man hat sie von Anfang an als die Abscheuliche bezeichnet«, sagte Leto. »Findest du es nicht verführerisch, festzustellen, daß du viel stärker bist als all diese ...«
»Nein, das finde ich nicht!« Ghanima wandte den Blick zur Seite. Sie fühlte die prüfenden Augen ihres Bruders auf sich gerichtet und schauderte. Alles, was sie tun mußte, war, die genetischen Informationen aus ihrem Gedächtnis abzurufen, und die Warnungen der Schwesternschaft nahmen konkrete Formen an. Die Vorgeborenen tendierten anscheinend dazu, Erwachsene mit zweifelhaften Verhaltensweisen zu werden. Und die mögliche Ursache ... Erneut schauderte sie.
»Es ist schade, daß wir nicht einige Vorgeborene unter unseren Vorfahren hatten«, sagte Leto.
»Vielleicht hatten wir das.«
»Aber wir hätten dann ... Ah, ja, das bringt uns wieder zu der alten, unbeantworteten Frage: Haben wir wirklich die Möglichkeit, uns restlosen Zugang zu allen Erinnerungen unserer Vorfahren zu verschaffen?«
Aus einem Gefühl heraus wurde Leto sich bewußt, wie unangenehm diese Unterhaltung für seine Schwester sein mußte. Sie hatten diese Frage schon des öfteren diskutiert, ohne jedoch zu einem Schluß zu kommen. Er sagte: »Wir müssen es ablehnen, ablehnen und nochmals ablehnen, wenn sie uns dazu drängt, unsere Erfahrungen mit der Gewürztrance zu machen. Wir müssen ungeheuer vorsichtig sein, daß wir keine Überdosis erhalten; das ist unsere beste Möglichkeit.«
»Eine Überdosis müßte schon ziemlich groß sein, um uns zu treffen«, meinte Ghanima.
»Wir können möglicherweise ziemlich viel vertragen«, stimmte Leto ihr zu. »Das sieht man schon daran, wieviel Alia benötigt.«
»Sie tut mir leid«, sagte Ghanima. »Das Gefühl in ihr, das sie dazu zwingt, muß sehr subtil sein und sie ständig bedrängen.«
»Ja«, sagte Leto. »Sie ist ein Opfer. Abscheulichkeit .«
»Wir könnten uns auch irren.«
»Sicher.«
»Ich frage mich oft«, sagte Ghanima, »ob das nächste Bewußtsein eines Vorfahren, das ich erforsche, dasjenige ist, das ...«
»Die Vergangenheit ist von uns nicht weiter entfernt als unser Kopfkissen«, sagte Leto.
»Wir sollten einen rechten Zeitpunkt abwarten, um mit unserer Großmutter darüber zu sprechen.«
»Ihre Erinnerungen in mir sagen dasselbe«, erwiderte Leto.
Ghanima warf einen Blick auf seinen Schleier.
»Wenn man zuviel weiß, wird es immer schwieriger, einfache Entscheidungen zu treffen.«
3
Der Sietch am Rande der Wüste
Gehörte Liet und Kynes,
Gehörte Stilgar und Muad'dib.
Dann herrschte wieder Stilgar in ihm.
Die Naibs kommen und gehen,
Der Sietch jedoch bleibt.
Aus einem Lied der Fremen
Als sie die Zwillinge verließ, fühlte Alia, wie ihr Herz klopfte. Ein paar Sekunden lang hatte sie das Gefühl, bei ihnen bleiben und um ihre Hilfe flehen zu müssen. Welch närrische Schwäche! Der Gedanke daran erfüllte sie mit warnender Vorsicht. Würden die Zwillinge es wagen, einen Blick in die Zukunft zu tun? Der Pfad, der ihrem Vater zum Verhängnis geworden war, mußte sie an sich abschrecken: jener nebelhafte Wind aus der Zukunft, der alle Visionen verschlüsselte und es dem Betrachter überließ, aus ihm klug zu werden.
Warum kann ich die Zukunft nicht sehen? fragte sich Alia. Warum werde ich mir ihrer nicht klar, so oft ich es versuche?
Sie mußte die Zwillinge dazu bringen, es zu tun. Sie mußte sie irgendwie ködern. Noch hatten sie die Neugier von Kindern. Es kam nur darauf an, diese Neugier mit dem Bewußtsein der Jahrtausende, das in ihnen war, zu verbinden.
So wie ich es getan habe, dachte Alia.
Ihre Leibwächter entfernten das Flüssigkeitssiegel vom Empfangseingang und stellten sich in einer Reihe auf, als sie hinausging und aus ihrem Gesichtsfeld verschwand. Die Ornithopter erwarteten sie auf dem Landefeld. Ein Wind wehte über der Wüste und blies Staubwolken vor sich her. Dennoch war es ein heller Tag. Im
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