Dune 04: Der Gottkaiser des Wüstenplaneten
niedrige Linie, die nahe an den dünnlippigen Mund heranreichte.
Wenn Nayla etwas sagte, öffneten und schlossen sich ihre Kinnbacken wie bei einem vorzeitlichen Tier. Ihre Stärke, von der nur wenige außerhalb des Korps der Fischredner wußten, war legendär. Leto hatte sie einen einhundert Kilo wiegenden Mann mit einer Hand hochheben sehen. Ihre Anwesenheit auf Arrakis war ursprünglich ohne Moneos Hinzuziehung veranlaßt worden, obwohl der Majordomus wußte, daß Leto seine Fischredner als Geheimagenten einsetzte.
Leto wandte den Kopf von der schwerfälligen Gestalt ab und blickte durch die große Öffnung neben sich auf den südlichen Teil der Wüste. Die Färbung der weit entfernten Felsen tanzte durch sein Bewußtsein – sie waren braun, golden und vom Glanz alten Bernsteins. Auf einer weit entfernten Klippe machte er einen rosafarbenen Fleck aus, der die exakte Farbe des Gefieders eines Egrets aufwies. Egrets existierten zwar nur noch in Letos Erinnerungen, aber er brauchte das blasse Pastellband aus Stein lediglich gegen sein inneres Auge zu halten, und dann war es, als flöge der längst ausgestorbene Vogel geradewegs an ihm vorbei.
Der Aufstieg, das wußte er, mußte sogar Nayla erschöpfen. Schließlich legte sie eine Pause ein und blieb an einem Punkt stehen, der zwei Stufen hinter der Zweidrittelmarkierung lag. Das war genau die Stelle, an der sie sich jedesmal ausruhte. Es war ein Teil ihrer Verläßlichkeit – und einer der Gründe, warum er sie von der fernen Garnison auf Seprek zurückgeholt hatte.
Ein Wüstenfalke flog an der neben Leto befindlichen Öffnung vorbei. Er war nur ein paar Flügellängen von der Turmmauer entfernt. Wahrscheinlich hatten die Schatten am Fuße der Zitadelle seine Aufmerksamkeit erregt. Manchmal trieben sich dort kleinere Tiere herum, wußte Leto. Am Horizont, hinter dem Weg, den der Falke genommen hatte, konnte er eine Wolkenkette erkennen.
Für den alten Fremen, der in ihm steckte, waren das seltsame Dinge: Wolken auf Arrakis. Und dazu Regenfälle und offene Wasserstellen.
Leto erinnerte die inneren Stimmen: Abgesehen von dieser letzten Wüste, meiner Sareer, ist die Umwandlung des Wüstenplaneten in die grüne Welt Arrakis seit den ersten Tagen meiner Herrschaft rücksichtslos weitergegangen.
Der Einfluß der Geographie auf die Geschichte ist fast nicht wahrgenommen worden, dachte Leto. Die Menschen neigen eher dazu, den Einfluß der Geschichte auf die Geographie zu beachten.
Wem gehört dieser Wasserweg? Dieses fruchtbare Tal? Diese Halbinsel?
Keinem von uns.
Nayla ging jetzt weiter. Ihr Blick war auf die Stufen gerichtet, die noch vor ihr lagen. Letos Gedanken kehrten zu ihr zurück.
Sie ist in mannigfaltiger Hinsicht die nützlichste Helferin, die ich je hatte. Ich bin ihr Gott. Sie betet mich an, ohne mich je in Frage zu stellen. Selbst wenn ich zum Schein ihren Glauben attackiere, sieht sie darin nichts anderes als eine Prüfung. Und sie glaubt, jeder Prüfung standhalten zu können.
Als er sie zu den Rebellen geschickt und ihr befohlen hatte, Siona in allen Situationen zu gehorchen, hatte sie keine Fragen gestellt. Wenn Nayla zweifelte, selbst wenn sie ihre Zweifel in Worte kleidete, reichten ihre eigenen Ansichten aus, wieder zum Glauben zurückzufinden. Bisher war es jedenfalls immer so gewesen, aber die kürzlich eingetroffenen Botschaften hatten ihm klargemacht, daß Nayla seiner geheiligten Gegenwart bedurfte, um ihre inneren Kräfte erneuern zu können.
Leto erinnerte sich an das erste Gespräch, das er mit Nayla geführt hatte. Die Frau hatte in ihrem Bemühen, ihm um jeden Preis zu Willen zu sein, gezittert.
»Selbst wenn Siona dich ausschickt, um mich zu töten – du mußt ihr gehorchen. Sie darf niemals erfahren, daß du mir dienst.«
»Niemand kann Euch umbringen, Herr.«
»Aber du mußt Siona gehorchen.«
»Gewiß Herr. Das ist Euer Befehl.«
»Du mußt ihr in allen Dingen gehorchen.«
»Ich werde es tun, Herr.«
Noch eine Prüfung. Nayla stellt meine Prüfungen nicht in Frage. Sie erträgt sie wie den Biß eines Flohs. Der Herr befiehlt? Nayla gehorcht. Ich darf nicht zulassen, daß irgend etwas diese Beziehung verändert.
In den alten Zeiten hätte sie eine ausgezeichnete Shadout abgegeben, dachte Leto. Das war auch einer der Gründe gewesen, weswegen er Nayla ein Crysmesser gegeben hatte – ein echtes, das aus dem Sietch Tabr stammte und einst einer von Stilgars Frauen gehört hatte. Nayla trug es in einer verborgenen
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