Dune - Frühe Chroniken 02 - Das Haus Harkonnen
diesen Plänen? Die meisten anderen Schülerinnen hatten zumindest eine gewisse Ahnung von ihrer künftigen Bestimmung, doch Jessica blickte nur auf eine leere Wand, die ihr nicht den geringsten Hinweis gab.
Ich werde auf etwas vorbereitet. Auf eine wichtige Mission. Warum hatte ihre Lehrerin sie zu diesem Zeitpunkt an diesen Ort geführt? Es konnte kein Zufall sein; die Bene Gesserit planten jede Einzelheit mit größter Sorgfalt.
»Für dich gibt es noch Hoffnung, Kind«, murmelte Mohiam. »Ich habe dir gesagt, dass du beobachten sollst – aber du konzentrierst dich auf die falsche Person. Beobachte nicht den Mann, der Tessia erwählt hat, sondern den anderen. Beobachte, wie sie interagieren. Sag mir, was du siehst.«
Jessica betrachtete den Mann. Sie atmete tief durch und entspannte ihre Muskeln. Ihre Gedanken klärten sich wie Mineralien, die sich in einem Glas Wasser absetzen.
»Beide entstammen adligen Familien, aber sie sind nicht verwandt, wenn ich die Unterschiede in der Kleidung, den Angewohnheiten und der Mimik zugrunde lege.« Jessica ließ die Männer nicht aus den Augen. »Sie sind seit mehreren Jahren gute Freunde. Sie können sich aufeinander verlassen. Der Schwarzhaarige ist sehr um das Wohlergehen seines Freundes besorgt.«
»Und?« Jessica hörte den Unterton freudiger Erwartung in der Stimme ihrer Lehrerin, aber sie konnte sich keinen Grund dafür vorstellen. Die Augen der Ehrwürdigen Mutter blickten gebannt auf den zweiten Mann.
»An seinem Verhalten erkenne ich, dass der Schwarzhaarige ein Herrscher ist, der seine Verantwortung sehr ernst nimmt. Er hat große Macht, aber er missbraucht sie nicht. Er ist wahrscheinlich ein besserer Fürst, als er jemals vor sich selbst zugeben würde.« Sie beobachtete seine Bewegungen, sein Erröten, wie er die anderen Akoluthen ansah und sich schließlich zwang, den Blick abzuwenden. »Und er ist sehr einsam.«
»Ausgezeichnet!« Mohiam strahlte ihre Schülerin an, doch dann kniff sie die Lider zusammen. »Dieser Mann ist Herzog Leto Atreides – und du bist für ihn bestimmt, Jessica. Eines Tages wirst du die Mutter seiner Kinder sein.«
Jessica wusste, dass sie leidenschaftslos auf diese Offenbarungen reagieren sollte – es war nicht mehr als eine Pflicht, die sie für die Schwesternschaft erfüllen würde –, aber sie musste sich trotzdem zusammenreißen, um ihr rasendes Herz zu beruhigen.
In diesem Moment blickte Herzog Leto zu Jessica auf, als würde er ihre Anwesenheit hinter dem Gitterfenster der Galerie spüren. Ihre Blicke trafen sich. Sie sah ein Feuer in seinen grauen Augen, seine Kraft und Weisheit, die für sein Alter ungewöhnlich war – das Ergebnis einer schweren Verantwortung. Und sie fühlte sich sofort zu ihm hingezogen.
Aber sie widerstand. Instinkte, automatische Reaktionen, Reflexe ... Ich bin kein Tier. Sie unterdrückte jedes Gefühl, wie sie es in vielen Jahren von Mohiam gelernt hatte.
Jessicas bisherige Fragen waren bedeutungslos geworden, aber vorläufig fielen ihr keine neuen ein. Mit einer Atemübung versetzte sie sich in den Zustand der Gelassenheit. Aus irgendeinem Grund fand sie diesen Herzog sympathisch ... aber für sie zählte nur, dass sie ihre Pflicht gegenüber der Schwesternschaft erfüllte. Sie würde warten, bis sie erfuhr, worin ihre Aufgabe bestand, um dann zu gehorchen und zu tun, was immer von ihr erwartet wurde.
Ungeduld ist Schwäche.
Mohiam amüsierte sich insgeheim. Die Ehrwürdige Mutter hatte diese kurze und ferne Begegnung zwischen Jessica und Herzog Atreides inszeniert, da sie die genetischen Fäden kannte, die sie selbst im Auftrag der Schwesternschaft verflochten hatte. Jessica war das Ergebnis vieler Generationen sorgfältigster Zuchtwahl, die schließlich den Kwisatz Haderach hervorbringen sollte.
Die Leiterin des Programms, die Kwisatz-Mutter Anirul, die Ehefrau des Imperators Shaddam, behauptete, dass die höchsten Erfolgsaussichten bestanden, wenn eine Harkonnen-Tochter der gegenwärtigen Generation eine Atreides-Tochter zur Welt brachte. Jessicas Vater war Baron Harkonnen ... und wenn sie bereit war, würde sie sich mit Herzog Leto Atreides verbinden.
Für Mohiam lag eine köstliche Ironie darin, dass die zwei Todfeinde – die Häuser Harkonnen und Atreides – dazu bestimmt waren, eine Verbindung von solch unglaublicher Bedeutung einzugehen, ohne dass eins der Häuser je einen Verdacht hegen würde ... oder die Wahrheit akzeptieren könnte.
Sie konnte kaum ihre Aufregung
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