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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gleich ob Video oder Foto – er brauchte einfach etwas, das ihm die Wirklichkeit so zeigte, wie sie war, nicht so, wie jemand wollte, daß er sie sah.
    Das war die Theorie. In der Praxis gestand sich Jan nach weniger als fünf Minuten ein, daß die technische Entwicklung in den letzten Jahren in einem so rasanten Tempo an ihm vorbeigezogen war, daß ihm fast schwindelig wurde. Er vermied es tunlichst, dem Verkäufer zu verraten, daß Fotografieren sein Beruf war, sondern spielte den interessierten Laien. Nach mehr als einer halben Stunde verließ er das Geschäft, um eine brieftaschengroße Digitalkamera und fünf Zehnerpacks Batterien reicher und um eine Summe ärmer, bei der ihm unter normalenUmständen übel geworden wäre. Als der Verkäufer seine Kreditkarte durchgezogen hatte, war er fest davon überzeugt gewesen, nur ein bedauerndes Kopfschütteln und vielleicht ein mühsam unterdrücktes Grinsen zur Antwort zu bekommen. Aber das Wunder war geschehen. Der Computer der Bank hatte wohl seinen großzügigen Tag gehabt.
    Er verließ das Geschäft, blieb auf der Straße stehen und sah sich einen Moment lang unschlüssig um. Er wußte nicht genau, was er als nächstes tun sollte. Mit seiner Attacke auf Dörr hatte Vlad ihn in eine Situation gebracht, die weitaus unangenehmer war, als er selbst jetzt noch zugeben wollte: Wenn es nicht sowieso schon längst geschehen war, dann hatte er ihm spätestens damit vollends die Initiative aus der Hand genommen. Jan konnte jetzt nur noch reagieren, und er wußte nicht einmal genau, worauf.
    Er sah auf die Uhr. Seit dem Mord an Dörr war eine gute Dreiviertelstunde vergangen. Mit großer Wahrscheinlichkeit war Krieger mittlerweile nicht nur im »Schinderhannes« aufgetaucht, sondern hatte seinen Namen auch ganz oben auf die Fahndungsliste der Neusser Polizei setzen lassen, in roter Leuchtschrift. Er konnte nicht nach Hause; wenigstens jetzt noch nicht.
    Da er hungrig war, ging er nicht direkt zum Taxistand, sondern zu McDonalds. Normalerweise haßte er diese pappigen Brötchen, zwischen denen sich etwas verbarg, das weder nach Fleisch schmeckte noch so aussah, aber er wählte dieses Lokal auch nicht, weil das Essen dort so köstlich war. Zu dieser Tageszeit war es dort sicherlich brechend voll, und viele Menschen bedeuteten im Moment nicht nur Anonymität, sondern auch Sicherheit. Nicht einmal Vlad würde so verrückt sein, ihn vor den Augen von dreißig oder fünfzig Zeugen anzugreifen.
    Er wurde nicht enttäuscht. Das Fast-Food-Restaurant war so voll, daß die Schlange fast bis auf die Straße hinausreichte.Jan reihte sich geduldig ein, aber er kam sich zwischen den zumeist jüngeren Gästen – zumal in seinem dunklen Anzug – doch ziemlich deplaziert vor. Er ignorierte jedoch die zum Teil spöttischen Blicke und wartete mit stoischer Ruhe, bis er an der Reihe war.
    Jan erstand einen Big Mac, eine doppelte Portion Pommes frites und einen Milchshake, lud alles auf ein Tablett und balancierte damit die Treppe hinauf. So überfüllt das Lokal unten gewesen war, so leer schien die obere Etage zu sein. Er konnte sich einen Platz an irgendeinem der Tische aussuchen und überlegte einen Moment lang ganz ernsthaft, wieder nach unten zu gehen und seine Mahlzeit im Stehen zu verzehren. Aber das wäre albern gewesen. Vlad war nicht in der Nähe. Und er konnte nicht den Rest seines Lebens damit zubringen, sich zu verstecken.
    Was ihn wieder zu der Frage brachte, was er als nächstes tun sollte. Er mußte nach Hause; sich umziehen und einige Dinge besorgen, die sich bei seinem nächsten Rendezvous mit Nosferatu als nützlich erweisen konnten – wie zum Beispiel ein silbernes Messer. Und warum nicht gleich ein paar angespitzte Holzpflöcke oder eine Wasserpistole, die er mit Weihwasser füllen konnte? Knoblauch?
    Jan schüttelte spöttisch den Kopf, wickelte seinen Big Mac aus und sah die salatverzierte Pampe eine Sekunde lang stirnrunzelnd an, bevor er all seinen Mut zusammenraffte und hineinbiß. Er schmeckte überraschend gut – wenigstens nicht so schlecht, wie er erwartet hatte –, und schon der erste Bissen weckte seinen Appetit richtig. Jan verzehrte den Hamburger und die dünn geschnittenen Kartoffelstäbchen bis auf den letzten Krümel, spülte das Ganze mit seinem Milkshake herunter und ertappte sich tatsächlich bei der Überlegung, nach unten zu gehen und eine zweite Portion zu holen.
    Statt dessen nahm er die Kamera hervor, die er gekaufthatte, riß eine Zehnerpackung

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