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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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mußte, um Katrins Kopf so vorsichtig von seiner Schulter herunterzuheben, daß sie nicht wach wurde, schwang die Beine von der Couch und angelte nach seinem Slip. Ganz selbstverständlich zog er ihn an und wurde sich erst danach bewußt, daß er nun wieder er selbst war; nach der – für ihre Verhältnisse – Orgie, die sie gerade zelebriert hatten (er benutzte tatsächlich in Gedanken dieses Wort, und er kam sich nicht im geringsten albern dabei vor), war er nun wieder ganz er selbst; genau der Jan, der nicht nackt durch die Wohnung lief, nicht einmal dann, wenn er ganz allein war und sämtliche Jalousien heruntergelassen waren.
    Vollkommen überflüssig – er hatte ohnehin vor, in ein paar Minuten ins Bett zu gehen – zog er auch noch seine Jeans an, bevor er in die Küche ging. Er verspürte einen regelrechten Heißhunger auf eine Tasse Kaffee, war aber zugleich auch viel zu träge, die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen. Allein die Vorstellung, fünf Minuten zu warten, bis die Kaffeemaschine zu Ende geblubbert hatte, erschien ihm im Moment geradezuabsurd. Also ging er zum Kühlschrank, riß statt dessen eine Dose Bier auf und verzog angewidert das Gesicht, als er den ersten Schluck nahm. Das Bier war zu kalt. Es schmeckte fast ekelhaft, löschte aber wenigstens seinen Durst.
    Er leerte die Hälfte der Dose, ging zum Wohnzimmer zurück und lehnte sich müde gegen den Türrahmen. Sein Blick glitt einen Moment lang fast ziellos durch den Raum, blieb schließlich an der Tür zu seinem Arbeitszimmer hängen. Sie stand immer noch einen Spaltbreit offen. Er war zu ungefähr einhundertundzehn Prozent sicher, daß Katrin sie geschlossen hatte, hatte die Erklärung mittlerweile aber auch schon gefunden.
    Die Tür sprang manchmal ganz von selbst auf. Er hatte sich schon mehr als ein Foto verdorben, weil das Schloß im unpassendsten aller Momente beschlossen hatte, aufzuspringen. Katrin hatte letztendlich recht. Vera schlief, so tief und vermutlich zufrieden, wie ein Mensch nur schlafen konnte, für den ein weiches Bett in einem geheizten Zimmer eben keine Selbstverständlichkeit war.
    Sein Blick wanderte weiter und blieb an Katrin hängen. Sie hatte sich auf die Seite gedreht und die Knie an den Leib gezogen, nachdem er weggegangen war, und für einen Moment sah sie so verwundbar und klein aus, daß er am liebsten zu ihr hingegangen wäre und sie in die Arme geschlossen hätte. An dieser plötzlichen Aufwallung war ganz und gar nichts Erotisches mehr. Dieser Teil seiner Batterien war erschöpft, so gründlich, daß sie vermutlich Tage benötigen würden, um sich auch nur wieder weit genug aufzuladen, daß er den Anlasser betätigen konnte, geschweige denn in einen höheren als den ersten Gang zu schalten. Trotzdem stand er eine gute Minute lang reglos gegen den Türrahmen gelehnt da, war unfähig, den Blick von Katrins schlafender Gestalt zu nehmen und spürte, wie eine immer stärker werdende Faszination von ihm Besitz ergriff.
    Es war das Bild.
    Irgendwann zwischen der ersten und der zweiten Runde war Katrin aufgestanden und hatte das Licht ausgeschaltet. Sie hatte den Fernseher laufen lassen, das Gerät aber auf einen Musikkanal gestellt, über den im Moment ein Schwarz-Weiß-Video flimmerte. Das flackernde, bläulich gefärbte Licht gab dem Zimmer etwas seltsam Unwirkliches und schien die nackte, zu einer fast fötalen Haltung auf der Couch zusammengekrümmte Gestalt in etwas zu verwandeln, das von einem anderen Planeten stammte. Aus einer Welt mit niedriger Schwerkraft, auf der nie die Sonne schien und auf der sich feenhafte Geschöpfe mit großen Augen und sanften Stimmen bewegten. Ganz genau das war es, was Jan in diesem Augenblick sah. Die Geschichte, die ihm das Bild erzählte.
    Es würde nicht mehr lange bestehen. Er warf einen raschen Blick auf den Fernseher und erinnerte sich, das Video schon einmal gesehen zu haben. Der Clip war fast zu Ende. Noch eine Minute, wenn überhaupt, und ein neues, mit größter Wahrscheinlichkeit schreiend buntes und hektisches Video würde über die Mattscheibe flimmern und mit seinen grellen Farben die Magie des Augenblicks zerstören.
    Er durchquerte mit schnellen, vollkommen lautlosen Schritten das Wohnzimmer, trat in den Flur und nahm die erstbeste Kamera von der Anrichte, auf der immer zwei oder drei Fotoapparate griffbereit lagen. Noch während er sich herumdrehte und zu seinem Platz an der Küchentür zurückging, registrierte er, daß er ausgerechnet die

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