Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
noch einmal: »Nichts. Ich wollte noch ein bißchen an der Fotoserie arbeiten. Immerhin muß ich sie am Montag abgeben.« Er kam ihrem Protest zuvor. »Es war eine dumme Idee. Ich hätte sowieso gleich Schluß gemacht, auch wenn du nicht gekommen wärst.«
    Katrin starrte die Tür hinter ihm so intensiv an, als versuchte sie ernsthaft, sie auf diese Weise mit Blicken durchdringen zu können, um den Wahrheitsgehalt seiner Behauptung nachzuprüfen. Dann sagte sie müde: »Ich habe einfach keine Lust mehr, immer dieselbe Diskussion zu führen. Vielleicht denkst du einfach mal daran, daß selbst ein gesunder Mensch zu viel arbeiten kann. Und jetzt komm ins Bett. Ich muß morgen früh raus.«
     
    Er hatte sich vorgenommen, früh genug aufzustehen, um nicht nur die Abzüge zu machen, sondern sie Katrin auch bei einer Tasse Kaffee und einer Portion Rührei mit Speck zu präsentieren, die er für sie zuzubereiten gedachte.
    Das war die Theorie. Tatsächlich wachte er gegen zehn Uhr mit hämmernden Kopfschmerzen auf, zu denen sich nach ein paar Sekunden ein widerwärtiger Geschmack im Mund und nach einigen weiteren Sekunden und einem verschwommenen Blick auf den Wecker ein schlechtes Gewissen gesellte. Ganz schwach erinnerte er sich, daß Katrin am vergangenen Abend – eigentlich eher gestern nacht – etwas von »früh raus« und einem »wichtigen Termin« erzählt hatte, aber er war einfach zu müde, um sich an den genauen Grund zu erinnern.
    Außerdem schien sie diesen Termin nicht eingehalten zu haben: Jan hörte sie irgendwo in der Küche oder vielleicht auch im Bad hantieren. Erst dann erinnerte er sich wieder, daß sie nicht mehr allein in der Wohnung waren.
    Er stand auf, schlurfte ins Bad und brachte seine Morgentoilette hinter sich, indem er einen Blick in den Spiegel warf und sich mit den gespreizten Fingern beider Hände durch das Haar fuhr. Dann fiel ihm abermals ein, daß er nicht allein in der Wohnung war, und er tat etwas ziemlich Albernes: Er drehte den Kaltwasserhahn auf und ließ den Strahl gute zwei Minuten lang ins Waschbecken laufen, während er sich anstandshalber das Gesicht befeuchtete und dann die Hände abtrocknete.
    Dieser Aufwand war aber vollkommen umsonst. Er sah nichts von Vera, während er ins Schlafzimmer zurückschlurfte, und nachdem er sich angezogen hatte und in die Küche ging, fand er sie am Herd stehend vor, ganz mit einer Pfanne voller Rühreier und knusprig bratender Speckwürfel beschäftigt und die Kopfhörer von Katrins Walkman auf den Ohren. Sie hatte ihn bisher nicht nur nicht gesehen, sondern auch nicht gehört. Kleine Dummheiten bestrafte das Schicksal sofort.
    Er räusperte sich ein paarmal, dann wurde ihm klar, daß Vera diesen Laut so wenig hören konnte wie das Rauschen des Wasserhahns zuvor. Er trat neben sie, überlegte einen Moment, wie er sich bemerkbar machen konnte, ohne sie zu berühren, und tat schließlich das für ihn Nächstliegende: Er zog den Kopfhörerstecker aus dem Walkman, den sie am Gürtel trug. Vera machte eine erschreckte Bewegung, die sich auf die Bratpfanne auf der Herdplatte übertrug und das Fett darin aufspritzen ließ. Einer der winzigen, aber höllisch heißen Tropfen traf ihren Handrücken. Sie wischte ihn mit einer fast beiläufigen Bewegung fort, noch während sie sich zu ihm herumdrehte und die Kopfhörer abstreifte.
    »Hast du mich erschreckt!« sagte sie in schnippischem Ton: »Schleichst du dich immer so klammheimlich an Leute ran?«
    »Nur an solche, die in meiner Küche stehen und sich die Ohren mit Techno volldröhnen«, antwortete Jan lahm – und fast, ohne überhaupt zu wissen, was er da sagte. Zum ersten Mal sah er Veras Augen, und es war ein Anblick, der ihn so sehr irritierte, daß er für einen Moment fast das Gefühl hatte, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
    Ihre Augen waren … fahl. Ein anderes Wort dafür fiel ihm nicht ein. Sie waren sehr groß – ihr Anblick erinnerte ihn auf absurde Weise an die übergroße Sonnenbrille, die sie gestern abend getragen hatte, selbst während der Rückfahrt, als es schon dunkel gewesen war – und eigentlich von dunklem Braun, wirkten aber zugleich auf unmöglich in Worte zu fassende Weise farblos; Augen, aus denen das Leben gewichen war, um nicht dem Tod, sondern etwas anderem Platz zu machen. Ihren Anblick mit unheimlich zu beschreiben ging Lichtjahre weit an der Realität vorbei.
    »Eine Krankheit«, sagte Vera. »Ich bin an meinem sechzehnten Geburtstag erblindet und es fast

Weitere Kostenlose Bücher