Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
sog scharf die Luft ein, und auch Katrin erstarrte für einen Moment in der Bewegung und blickte seine Schulter an. Sie sah ziemlich erschrocken aus.
Jan verrenkte sich fast den Hals, um seine linke Schulter zu betrachten. Sie war nicht nur grün und blau, sondern auch deutlich angeschwollen. Bisher hatte er von der Verletzungnicht einmal etwas gespürt. Dafür schien sie jetzt, nachdem er sie einmal gesehen hatte, um so empfindlicher auf jede Berührung zu reagieren.
»Das sieht ja schlimm aus«, sagte Katrin. »Die Straßenbahn?«
»Ja.« Jan war nicht einmal ganz sicher. Er erinnerte sich natürlich an den heftigen Schlag, den er bekommen hatte, aber danach … Er hatte die Prellung bisher noch nicht einmal gespürt .
»Und du wolltest dieses arme Mädchen einfach auf der Straße sitzen lassen? Wenn sie nicht gewesen wäre, dann würdest du jetzt überall so aussehen.« Katrin beugte sich vor und berührte seine geschwollene Schulter zärtlich mit den Lippen. Selbst diese sanfte Berührung tat weh, jagte aber trotzdem einen kribbelnden Schauer durch seinen gesamten Körper. »Und ich müßte dich möglicherweise überall so trösten.«
»Warum stellst du dir nicht einfach vor, es wäre so?« fragte Jan. Die Situation war … bizarr. Das waren nicht sie. Sie sprachen nie beim Sex, auch das war eine ihrer stillschweigenden Übereinkünfte. Was ging hier vor?
Katrins Lippen lösten sich von seiner Schulter, glitten an seinem Hals hinab und weiter. Ihre Zungenspitze liebkoste seine Brust und glitt tiefer, und Jan stöhnte leise vor Erregung. Seine Erektion hatte eine Härte erreicht, die fast weh tat.
Trotzdem drehte er den Kopf auf die andere Seite und sah die Tür zu seinem Arbeitszimmer an. Sie stand einen Spalt breit offen.
»Bitte … nicht«, sagte er mühsam.
Katrin, die gerade mit wenig Erfolg, aber auf eine unbeschreiblich wohltuende Weise versuchte, seine Gürtelschnalle mit den Zähnen zu öffnen, hob überrascht den Kopf und sah ihn an.
»Warum?«
»Wir … sind nicht allein«, murmelte Jan. »Laß uns wenigstens ins Schlafzimmer gehen.«
Katrin lachte. »Sei nicht langweilig. Vera schläft wie ein Stein. Und jetzt halt die Klappe.«
Das war eindeutig nicht die Katrin, die er kannte. Aber Jan gestand sich ein, daß er höchst erfreut war, sie kennenzulernen.
Und er tat es, ausgiebig und außergewöhnlich lange. Sie liebten sich so ausgiebig und intensiv wie schon seit langer Zeit nicht mehr – vielleicht wie noch niemals zuvor –, und als hätte dieser Abend nicht bereits genug Überraschungen für ihn bereitgehalten, nicht nur einmal, sondern gleich dreimal hintereinander.
Jan war – auf eine schwer zu beschreibende ungemein angenehme Art – vollkommen erschöpft, als sie hinterher nebeneinander auf der viel zu schmalen Couch lagen. Alle seine Glieder schienen sich in Blei verwandelt zu haben, und das Atmen schien einer bewußten Anstrengung zu bedürfen. Gleichzeitig aber war er geistig so hellwach, daß an Schlaf nicht einmal zu denken war.
Außerdem hatte er quälenden Durst.
Katrin hatte sich in seinen Arm gekuschelt und war eingeschlafen. Ihr Körper glühte noch immer, und Jan konnte das schnelle, aber gleichmäßige Schlagen ihres Herzens an seiner eigenen Brust fühlen.
Es war ein ungemein beruhigendes Gefühl, schnell und regelmäßig wie das Arbeiten einer großen, zuverlässigen Maschine, die für mehr als die Lebensdauer eines Menschen konzipiert war.
Und er selbst?
Jan lauschte in sich hinein. Sein eigenes Herz schlug schwer und sehr langsam, aber ebenfalls in einem beruhigenden, unerschütterlichen Takt. Und natürlich würde es das auch weiter tun.
Er rief sich in Gedanken selbst zur Ordnung. Sein Herz war so kräftig und gesund, wie es das Herz eines gesunden Zweiunddreißigjährigen nur sein konnte. Es hatte einen kleinen Aussetzer gehabt, ein einmaliges, unerklärliches und sicherlich gefährliches Stolpern, aber mehr auch nicht. Und die Betonung lag ganz eindeutig auf einmalig .
Er drehte vorsichtig den Kopf und betrachtete Katrins im Schlaf entspanntes Gesicht, das sich an seine geschwollene Schulter schmiegte. Wenn er einen Beweis dafür gebraucht hätte, daß mit seinem Herzen alles in bester Ordnung war, dann hatte er ihn in den letzten zwei Stunden bekommen.
Zwei Stunden! Jan sah auf die Uhr und stellte fest, daß es eher zweieinhalb gewesen waren. Kein Wunder, daß er durstig war.
Er richtete sich vorsichtig auf, wobei er die Hand zu Hilfe nehmen
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