Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
abschlagen sollte. Nicht weil er einen konkreten Grund dafür gehabt hätte, sondern einfach weil er das Gefühl hatte, daß der Bursche Ärger bedeutete.
Statt dessen trat er jedoch einen halben Schritt zurück und machte eine einladende Geste, die Bertram vermutlich als unhöflich ausgelegt hätte, wäre er nicht viel zu erleichtert gewesen, die erste Hürde geschafft zu haben, um auf solche Kleinigkeiten zu achten.
Sie gingen ins Wohnzimmer. Die Kissen auf der Couch waren noch unordentlich, wie sie sie in der vergangenen Nacht hinterlassen hatten. Der Anblick war Jan peinlich, weil er das vollkommen absurde Gefühl hatte, daß Bertram wissen mußte, was der Grund für diese Unordnung war. Er ordnete sie hastig, dann machte er eine weitere, wortlose Handbewegung und wartete, bis sein Besucher Platz genommen hatte, ehe er sich selbst auf den Sessel gegenüber setzte.
»Was kann ich für Sie tun, Herr Bertram?« begann er.
Bertram rutschte unbehaglich auf seinen Platz herum. »Ich hoffe, es geht Ihnen wieder gut«, begann er.
»Ich bin in Ordnung«, sagte Jan verwirrt. »Danke. Aber Sie sind doch bestimmt nicht gekommen, um sich nach meinem Befinden zu erkunden, oder?«
»Nein«, gestand Bertram. »Oder doch. Auch. Ich meine … immerhin geschah Ihr … Unfall in den Räumlichkeiten des ›Cinedom‹, und –«
»Es war kein Unfall«, unterbrach ihn Jan. »Ich hatte einenHerzanfall. So etwas kommt vor.« Und plötzlich verstand er. Oder glaubte zu verstehen.
»Dieser andere Mann«, sagte er nachdenklich. »Der gleichzeitig mit mir zusammengebrochen ist … er ist tot, nicht wahr?« Er hatte bisher nicht einmal mehr an den anderen gedacht, aber nun erinnerte er sich wieder an die Worte der Rettungssanitäter, die er aufgeschnappt hatte.
»Bedauerlicherweise ja«, sagte Bertram betrübt. Er begann nervös am Griff seines eleganten Aktenkoffers herumzukneten. Jan fragte sich, was er eigentlich darin hatte.
»Woran ist er gestorben?«
»Die genaue Todesursache stand noch nicht fest«, antwortete Bertram – Jan spürte, daß es eine Lüge war –, »aber es sieht wohl nach einem Infarkt aus.«
Jan hatte das Gefühl, daß er das Wort Herzinfarkt ganz bewußt vermied. Er versuchte, sich an das Gesicht des Mannes zu erinnern. Er hatte ihn kaum gesehen. Trotzdem war er fast sicher, daß er kaum älter als er gewesen sein konnte: wahrscheinlich sogar jünger.
»Was für ein Zufall«, sagte er.
Bertram fuhr ein bißchen zusammen. »Das ist es ganz sicher«, beeilte er sich zu versichern. »Trotzdem ist es der Grund, aus dem ich hierher gekommen bin. Sehen Sie, wir sind ein Unternehmen der Unterhaltungsbranche. Wir legen natürlich großen Wert darauf –«
»– daß niemand anfängt, dumme Fragen zu stellen.« Vera kam aus der Küche, ein Tablett mit einem Teller voll Rühreier und drei Tassen Kaffee vor sich her balancierend. »Oder daß die Leute nicht anfangen, sich zu erzählen, daß man auf ihren Toiletten tot umfällt.«
Bertram wurde ein bißchen blaß um die Nase herum und zog es vor, die Frage erst einmal zu ignorieren. Er wandte sich wieder an Jan. »Das ist Ihre Verlobte, nehme ich an?«
»Nein. Vera ist … nur eine Bekannte.« Jan war ziemlich verwirrt – und ein bißchen alarmiert. Sie hatten nicht in Veras Gegenwart über das gesprochen, was ihm passiert war. Und sie konnte sie auch nicht belauscht haben, denn sie hatten gestern abend überhaupt nicht über den Zwischenfall geredet.
Bertram gewann noch einige weitere Sekunden, indem er abwartete, bis Vera ihr Tablett auf dem Tisch abgeladen hatte und sich ebenfalls setzte. Dann sagte er mit schlecht gespielter Bestürzung: »Ich störe Sie doch nicht beim Frühstück?«
Jan fragte sich eine Sekunde lang amüsiert, wie Bertram wohl reagieren würde, wenn er mit »doch« antwortete, unterdrückte aber den infantilen Impuls, es auszuprobieren, und schüttelte den Kopf.
»Ich hätte es vielleicht etwas weniger brutal ausgedrückt, aber es trifft den Kern der Sache«, sagte er mit einer Geste auf Vera. »Ich kann Sie beruhigen, Herr Bertram. Ich werde bestimmt nicht versuchen, dem Kino die Schuld an meinem Herzanfall zu geben.«
»Davon bin ich auch nicht ausgegangen«, antwortete Bertram hastig.
»Warum sind Sie dann hier?« fragte Vera.
»Nur um ganz sicher zu gehen«, antwortete Bertram. »Auch wenn das ›Cinedom‹ ganz sicher keine Schuld an dem bedauerlichen Vorfall trifft, so sind wir doch um das Wohlbefinden unserer Kunden
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