Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
oder vielleicht auch für einen Monat, falls ihre Pechsträhne doch ein bißchen länger dauert.« Er machte eine zornige Handbewegung, als Katrin etwas erwidern wollte. »Wofür hältst du das hier? Für ein Obdachlosenasyl?«
»Das ist nicht fair!« sagte Katrin. »Immerhin hat sie dir das Leben gerettet.«
»Das hat Dr. Mertens auch«, sagte Jan. »Und der Junge im Kino, der mich gefunden hat. Ganz zu schweigen von der Besatzung des Krankenwagens. Willst du sie auch alle aufnehmen, wenn sie plötzlich an die Tür klopfen?« Er schwieg einen Moment, atmete zweimal bewußt tief ein und aus und versuchte fast gewaltsam, sich zu beruhigen. Er verstand sich selbst nicht so ganz. Er hatte jedes Recht, verärgert zu sein, aber das, was er empfand, war kein Ärger mehr – er brodelte vor Wut. Als er weitersprach, klang seine Stimme zwar ruhiger, aber auf eine gezwungene, gar nicht gute Weise. »Darum geht es gar nicht, Katrin. Ich dachte bisher nur, daß wir solche Entscheidungen gemeinsam treffen.«
»Du meinst, du entscheidest und gibst mir die Gelegenheit, ja zu sagen?« Katrin preßte die Lippen aufeinander. »Ich sehe schon, es ist vollkommen sinnlos, mit dir reden zu wollen.« Und damit drehte sie sich wütend um und ging.
Jan starrte ihr nach. Der Zorn in seinem Inneren brodelte immer höher. Es fiel ihm schwer, nicht einfach hinter ihr herzurennen und Vera im wahrsten Sinne des Wortes aus der Wohnung zu werfen.
Vielleicht war das einzige, was ihn davon abhielt, seine übermäßige Wut. Diese Reaktion war nicht normal. Sie war überzogen, so sehr daß er fast vor sich selbst erschrak: Er wußte , daß er etwas ziemlich Dummes tun würde, wenn er jetzt hinausging.
Durch die geschlossene Tür hindurch konnte er das Telefon klingeln hören. Katrin hob ab, und er hörte sie mit jemandem reden. Nur einen Moment später riß sie die Küchentür auf und warf ihm einen eisigen Blick zu. Sie sagte kein Wort. Jan ging ebenfalls wortlos an ihr vorüber, trat an den Schreibtisch und hob den Hörer auf, den sie offenbar achtlos neben den Apparat fallengelassen hatte.
»Ja?« schnappte er.
»Jan?« Die Stimme seines Bruders klang irritiert.
»Oh, Peter. Entschuldige bitte. Ich … hatte jemand anders erwartet. Schön, daß du anrufst.«
Floskeln wie diese waren zwischen ihnen vollkommen unüblich, was Peters Irritation garantiert noch steigerte. Er stellte jedoch keine entsprechende Frage. »Hast du Zeit, dich mit mir zu treffen?«
Er hatte etwas herausgefunden. Und er wollte ganz offensichtlich nicht am Telefon darüber reden. »Jetzt?«
»Ich bin auf dem Weg ins Rathaus, aber der Termin dort dauert wahrscheinlich nur zehn Minuten. Sagen wir in einer halben Stunde im Museum?«
Das war kaum fünf Minuten zu Fuß vom Rathaus entfernt. Trotzdem fragte sich Jan, warum sein Bruder ausgerechnet diesen Treffpunkt vorschlug. Er sagte jedoch nichts, sondern sah nur auf die Uhr und nickte. Beides war ziemlich überflüssig.
Peter hängte ein, nachdem er sich verabschiedet hatte, und auch Jan legte den Hörer auf die Gabel zurück und wandte sich zur Tür. Er hatte keine Eile. Selbst bei starkem Verkehr würde er allerhöchstens zehn Minuten brauchen, um zum Rathaus zu kommen. Aber nach seinem Streit mit Katrin hatte er keine Lust, auch nur eine Sekunde länger hier zu bleiben, als unbedingt notwendig war.
»Wo willst du hin?« fragte Katrin, als er zur Tür ging.
»Weg«, antwortete Jan unfreundlich. »Brauchst du den Wagen?«
Schon der Ton, in dem er diese Frage stellte, machte klar, daß er ein Ja als Antwort nicht akzeptieren würde. Katrin sagte auch vorsichtshalber gar nichts, sondern hüllte sich in beleidigtes Schweigen, und Jan verließ die Wohnung und knallte die Tür hinter sich zu.
Natürlich war er sich darüber im klaren, wie albern er sich benahm. Sein Zorn war durchaus berechtigt – zumindest nachvollziehbar–, aber er entlud sich an falscher Stelle. Katrin hatte sich allenfalls ungeschickt benommen, eine solche Entscheidung zu treffen, ohne ihn zu fragen, ob er auch damit einverstanden war. Vera war es, die er sich vorknöpfen sollte. Und er nahm sich fest vor, es zu tun, sobald er zurück war.
Jan war derart in düstere Gedanken versunken, daß er viel zu schnell fuhr und infolgedessen noch früher am Treffpunkt ankam, als er erwartet hatte. Er parkte den Wagen einen Block entfernt und ging zu Fuß zurück. Einen Moment überlegte er, ob er die verbliebenen zwanzig Minuten damit zubringen sollte,
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