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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sich seine Tagesration Kultur zu holen und durch das Stadtmuseum zu schlendern, entschied sich aber dann dagegen. Er wohnte jetzt seit acht Jahren hier und hatte das Museum in dieser Zeit zweimal besucht: Einmal vor und einmal nach dem Umbau. Das Ergebnis war beide Male enttäuschend gewesen. Das Museum war winzig und hielt dem hohen Anspruch, den seine Gründer gestellt hatten, nicht stand.
    Ungeduldig sah er auf die Uhr. Er war fast zwanzig Minuten zu früh, und da er mit seinem Bruder verabredet war, war das doppelt unangenehm: Peter war der unpünktlichste Mensch, den Jan kannte.
    Er hatte Lust auf eine Zigarette, aber keine dabei. Vermutlich hatte Katrin irgendwo im Wagen eine oder auch gleich mehrere Packungen deponiert, aber Jan wollte weder den gesamten Wagen durchsuchen noch ausgerechnet Katrins Zigaretten rauchen. Nicht nach dem Auftritt von vorhin.
    Bei diesem Gedanken hätte er fast laut aufgelacht. Sein Benehmen nahm allmählich eindeutig kindische Züge an.
    Dennoch ging er nicht zum Wagen zurück, sondern schlenderte in die entgegengesetzte Richtung. An der Ecke befand sich ein Kiosk, wo er Zigaretten ziehen konnte. Außerdem ging er auf diese Weise seinem Bruder entgegen, was die Wartezeit vielleicht um einige Augenblicke verkürzte.
    Theoretisch.
    Praktisch erreichte er den Automaten, wobei er sich weiß Gott nicht beeilte, zog sich eine Packung West und rauchte in aller Ruhe gleich zwei Zigaretten hintereinander, ohne daß sich auch nur eine Spur von Peter zeigte. Das war typisch für seinen Bruder, ärgerte Jan aber jedesmal wieder. Es begann zu dämmern. In einer halben Stunde würde es dunkel sein und vermutlich verflucht kalt. Trotzdem ging er nicht zum Wagen zurück, sondern sah sich nur mit einer Ungeduld um, die im gleichen Maße stieg, wie seine Laune sank. Wäre der dumme Streit mit Katrin nicht gewesen, dann wäre er jetzt vermutlich nach Hause gefahren und hätte in aller Ruhe abgewartet, bis Peter anrief oder sich sonstwie meldete.
    So wandte er sich statt dessen um und ging los. Die halbe Stunde, von der Peter gesprochen hatte, war mittlerweile fast zweimal vorbei und das Rathaus, so ganz nebenbei bemerkt, schon längst geschlossen. Aber vielleicht hatte der Termin dort ja doch länger gedauert, als Peter veranschlagt hatte.
    So oder so – es gab nur eine einzige Straße, um aus dem Rathausparkhaus herauszukommen. Er würde sie nehmen und seinem Bruder entweder irgendwo unterwegs begegnen oder einfach in die Tiefgarage hinuntergehen und nachsehen, ob Peters Wagen noch dort stand.
    Es wurde jetzt immer rascher dunkel. Und es war bereits empfindlich kalt. Und noch etwas fiel ihm auf: Obwohl es noch nicht so spät war, daß die Geschäfte hier in der Stadtmitte bereits geschlossen hätten, war er fast allein auf der Straße. Außerdem war es zu still. Eine Straßenbahn fuhr vorbei. Einige – sehr wenige – Autos standen an der Ampel und warteten darauf, daß das Licht von Rot auf Grün umsprang, und vor einer Kneipe auf der anderen Straßenseite standen einige junge Leute und unterhielten sich heftig gestikulierend. Ihren Bewegungen nach zu schließen, mußten sie schon ziemlichangetrunken sein, und vermutlich alles andere als leise. Trotzdem war alles, was Jan hörte, ein schweres Rascheln und Flappen.
    Er blieb stehen und sah sich verwirrt und beunruhigt um, aber es dauerte eine Weile, bis er die Herkunft des Geräusches identifizierte: Er befand sich nicht weit vom alten Horten-Gebäude entfernt. Das ehemalige Kaufhaus war vor einem halben Jahr geschlossen worden und sollte nun zu einem ultramodernen Verwaltungskomplex umgebaut werden; jedenfalls behauptete das die überdimensionale Werbetafel, die davor aufgestellt war. Im Moment ähnelte das Haus aber eher einer ausgebombten Ruine aus dem zweiten Weltkrieg. Die gesamte Fassade war abgerissen worden, und die Vorderfront des Gebäudes war zur Gänze mit riesigen, halb durchsichtigen Plastikfolien verhängt. Eine davon hatte sich gelöst und flatterte nun wie ein bizarres Segel im Wind; vielleicht auch wie eine fingerlose, flache Hand, die trotz ihrer Größe vergeblich nach ihm zu greifen versuchte. Der Anblick war etwas unheimlich, zugleich aber so bizarr, daß Jan sich einen Moment lang ärgerte, keinen Fotoapparat dabei zu haben – obwohl … Er hatte eine Kamera im Wagen. Er konnte zurückgehen und sie holen, um ein paar Aufnahmen zu machen.
    Statt dessen wartete er, bis die Ampel umsprang, überquerte die Straße und wandte

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