Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
ich es vorziehen, wenn du mich in Zukunft fragst, bevor du Nacktaufnahmen von mir machst«, sagte Katrin.
»Dazu hätte ich dich aber wecken müssen«, antwortete Jan. »Und dann hätte ich dieses Foto nicht machen können. So wenig wie das hier.«
Er reichte ihr das zweite Bild; eine der Vergrößerungen, die er gemacht hatte. Katrin nahm es entgegen, warf einen Blick darauf und verlor jede Farbe aus dem Gesicht.
»Oder das hier.« Jan reichte ihr das nächste Bild und das nächste und das nächste, bis die gesamte Fotoserie vor Katrin auf dem Tisch ausgebreitet war. Sie zeigten im Prinzip alle das gleiche. Mit einem Unterschied: Katrin war nur auf einem einzigen Bild, dem ersten, allein.
Auf allen anderen war außer ihr auch Vera zu sehen, die hoch aufgerichtet hinter der Couch stand und auf sie herabsah.
»Das – das ist …«
»Du wolltest doch wissen, warum ich Vera rausgeworfen habe«, sagte Jan. »Jetzt weißt du es.« Das entsprach ganz und gar nicht der Wahrheit. Als er Vera hinausgeworfen hatte, da hatte er diese Abzüge noch gar nicht gemacht. Aber es erschien ihm im Moment als ein schlagkräftiges Argument.
Katrins Augen schossen kleine, zornige Blitze, aber Jan war nicht sicher, ob sie wirklich nur den Fotografien galten.
»Dieses verlogene kleine Biest«, sagte sie. Dann hob sie mit einem Ruck den Kopf, und diesmal traf die Breitseite ihn. »Warum, zum Teufel, hast du mich nicht geweckt?«
»Weil ich es nicht wußte«, antwortete Jan.
Katrin lachte schrill. »Willst du mich verarschen?«
»Ich habe es erst heute morgen gemerkt«, beteuerte Jan, und das in einem Ton, der Katrin vielleicht nicht überzeugte, sie zumindest aber davon abhielt, sofort wieder über ihn herzufallen.
»Ich weiß, wie das klingt«, fuhr er fort. Es war nicht die Wahrheit, aber die konnte er jetzt unmöglich erzählen. Immerhin konnte er sich ihr so weit annähern, daß seine Geschichte wenigstens eine Spur von Glaubwürdigkeit bekam.
»Ich verstehe es selbst nicht. Ich war gestern abend ziemlich müde. Es war dunkel. Ich hatte nur Augen für dich.«
»Und du willst das nicht gemerkt haben?«
»Dann hätte ich vielleicht ein Bild gemacht, aber bestimmt nicht ein Dutzend«, antwortete Jan. »Auf jeden Fall war ich ziemlich sauer, als ich die Bilder entwickelt habe – wie du dir vorstellen kannst. Deshalb wollte ich, daß sie geht.«
Katrin sagte nichts mehr. Sie sah ihn nur an, und Jan fragte sich, ob sie ahnte, daß er sie belogen hatte. Aber selbst wenn esso wäre, konnte er ihr die Wahrheit unmöglich sagen. Nicht, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, daß sie tatsächlich zum Telefon ging und die Jungs mit den Zwangsjacken rief.
Die Wahrheit war die: Es stimmte nicht, daß er Vera nicht gesehen hatte. Sie war eindeutig nicht dagewesen, als er die Aufnahmen machte.
W ährend der nächsten beiden Tage beruhigte sich Jans Leben wieder einigermaßen. Er betäubte sich mit der einzigen Droge, die er kannte und regelmäßig nahm und von der er (auch wenn er nicht müde wurde, jedem das Gegenteil zu versichern) auch ein wenig abhängig war: Arbeit.
Er hatte im Moment genug davon – was längst nicht selbstverständlich war –, fast sogar schon ein bißchen zuviel – was noch weniger selbstverständlich war. Jan hatte in den letzten Jahren mehr als einmal das Angebot bekommen, bei einer der größeren Agenturen oder Studios fest anzufangen, sie aber alle ausgeschlagen. Das Leben als Freiberufler war manchmal hart – oft härter, als er Katrin gegenüber zugab –, aber die Vorteile überwogen bei weitem. Er war sein eigener Herr, mußte nicht wie sein Bruder jeden langweiligen Auftrag annehmen, zu dem man ihn schickte, und vor allem: Er hatte zu oft erlebt, wie schnell ein regelmäßiges Einkommen und ein fester Job Träume töteten. Er hatte noch Träume. Jan wußte, daß er gut war, und er war der festen Überzeugung, daß sich Qualität und Talent am Ende durchsetzten. Irgendwann würde er Bilder wie die von gestern nacht verkaufen. Statt Hochglanzfotos von blühenden Sonnenblumenfeldern oder überquellenden Mülltonnen an Bushaltestellen.
Im Augenblick schien er davon aber weiter entfernt denn je. Er hatte es geschafft, die bestellte Fotoserie – irgendein Mist für einen Werbeprospekt, der keinen Menschen interessierte und in spätestens einer Woche vergessen war, aber gutes Geld brachte – gerade noch innerhalb der Frist fertigzubekommen, aber er war mit dem Ergebnis alles andere als zufrieden. Sie
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