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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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und trat mit klopfendem Herzen und schlechtem Gewissen an die Tür seines zum Gästezimmer umfunktionierten Arbeitsraums. Ein Teil von ihm protestierte heftig gegen das, was er tat. Er benahm sich irrational. Sich in Gedanken in etwas hineinzusteigern war eine Sache, seine Handlungen davon diktieren zu lassen eine ganz andere. Wenn Vera wach wurde, während er unter der Tür stand und sie im Schlaf fotografierte, würde er sich eine verdammt gute Ausrede einfallen lassenmüssen, und was Katrin sagen würde, wenn sie plötzlich hinter ihm auftauchte und ihn überraschte, das wagte er sich erst gar nicht vorzustellen.
    Aber all diese durchaus zugkräftigen Argumente schienen sich auf einer Ebene seines Bewußtseins abzuspielen, die ihn kaum berührte. Er drückte die Klinke lautlos herunter, schob die Tür Millimeter für Millimeter auf und hielt inne, als der Spalt gerade breit genug war, das Objektiv der Kamera hindurchzuschieben.
    Er lauschte. Die Stille blieb vollkommen. Auch auf der anderen Seite der Tür war nicht der geringste Laut zu hören.
    Er zählte in Gedanken bis fünf, fast als wollte er sich selbst noch einmal Gelegenheit geben, mit diesem Unsinn aufzuhören, dann schob er die Kamera durch den Türspalt und blickte durch den Sucher.
    Im allerersten Moment sah er praktisch nichts und war auf eine absurde Art enttäuscht. Er hatte erwartet, mehr zu sehen als graue Schatten und ineinanderfließende Umrisse, als wäre das Einlegen eines lichtempfindlichen Filmes Grund genug, auch die Empfindlichkeit seines menschlichen Auges zu steigern. Aber er mußte auch nichts sehen. Auf dem Foto würde bestimmt mehr zu sehen sein als das, was er je im Rechteck des Suchers sah.
    Er drehte die Kamera so, daß das Weitwinkel-Objektiv einen möglichst großen Teil des Raumes aufnahm, und drückte auf den Auslöser.
    Das bläulichweiße Zucken des Blitzlichts war so grell, daß Jan erschrocken die Luft einsog und um ein Haar die Kamera fallengelassen hätte. Er wußte nicht, was geschehen war. Auf seiner Netzhaut flimmerten gelbe und rote Nachbilder, und das fast unhörbare Summen des Blitzlichts kam ihm für einen Moment vor wie das ohrenbetäubende Heulen einer Sirene.
    Die Panik verschwand so schnell, wie sie gekommen war, und in der nächsten Sekunde stand Jan da, starrte den Fotoapparat in seiner Hand an und kam sich vor wie ein Idiot.
    Er hatte nicht daran gedacht, die Belichtungsautomatik auszuschalten.
    Offensichtlich waren seine Talente als Paparazzo und Spion äußerst beschränkt.
    Er lauschte. Auf der andern Seite der Tür war immer noch kein Laut zu hören. Vielleicht hatte er ja Glück gehabt, und der Blitz hatte Vera nicht geweckt. Aber vielleicht tat sie auch nur so, als ob sie schlief, und saß auf der anderen Seite der Tür in ihrem Bett und wartete, was er wohl als nächstes tun würde.
    Wenn es in dieser Situation überhaupt noch etwas Vernünftiges gab, was er hätte tun können, so wäre es gar nichts gewesen. Statt dessen jedoch entschloß er sich, seine Taktik zu ändern und zum Angriff überzugehen.
    Er schob die Tür ein winziges bißchen weiter auf, zwinkerte ein paarmal mit den Augen, bis auch die letzten Nachbilder verschwunden waren, und schob Kopf und Schultern durch den Türspalt.
    »Vera?« fragte er.
    Er bekam keine Antwort. Die grauen und schwarzen Schemen vor seinen Augen begannen allmählich ineinanderzufließen und Form anzunehmen. Die Jalousien in diesem Zimmer waren ebensowenig geschlossen wie im anderen, und das graue Zwielicht reichte nach einer gewissen Zeit aus, um erstaunlich viele Einzelheiten zu erkennen.
    Zumindest konnte er sehen, daß Vera nicht da war.
    Das zusammenklappbare Gästebett, das jetzt da stand, wo vorher sein Schreibtisch gestanden hatte, bevor Vera und Katrin ihn mit vereinten Kräften unter das Fenster geschoben hatten, war benutzt. Laken und Kissen waren zerknittert unddie Decke an einer Seite heruntergerutscht. Von der Person, die darin gelegen hatte, war nichts zu sehen. Jan sah verwirrt und völlig überflüssig nach rechts – der Platz dort hätte nicht einmal ausgereicht, ein zweijähriges Kind zu verstecken, geschweige denn einen ausgewachsenen Menschen wie Vera –, dann trat er mit einem entschlossenen Schritt ganz ins Zimmer hinein und machte das Licht an.
    Das Bett blieb so leer, wie es war. Das Mädchen war fort.
    Einige Sekunden lang stand Jan einfach nur da und fühlte sich hilflos, dann drehte er sich entschlossen herum und durchsuchte die

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