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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Badezimmertür auf und sagte noch einmal scharf: »Ich habe dich gefragt, was los –?«
    Er sprach nicht zu Ende. Vera stand am Waschbecken und hatte es irgendwie in der knappen Minute, die seither verstrichen war, geschafft, sowohl die Lederjacke als auch ihren abgetragenen Pulli auszuziehen. Beides lag in einem unordentlichen Haufen vor der Badewanne, zu dem sich in diesem Moment auch noch ihr T-Shirt und ein schmuckloser weißer BH gesellten. Mit der anderen Hand drehte sie bereits den Kaltwasserhahn auf.
    Jan war ziemlich überrascht, zugleich aber auch fast unangenehm berührt. Er erfaßte Veras halbnackte Gestalt mit einem einzigen Blick. Obwohl sie eher zierlich war, war alles an ihr so perfekt, wie man es sich nur vorstellen konnte. Selbst ihre verrückte Frisur und die drei Nummern zu große Ray-Ban, die sie immer noch trug, fügten sich hundertprozentig in das Bild ein.
    Aber was den Anblick zugleich gründlich störte, das waren die tiefen, vom Schultergelenk bis zum Ellbogen reichenden Fleischwunden in ihrem rechten Arm. Er hatte sich nicht getäuscht. Die dunkel geronnenen Flecken in ihrem Haar waren Blut.
    »Um Gottes willen, was ist passiert?«
    Vera schöpfte mit der unversehrten Hand Wasser aus dem Kran und träufelte es über ihren rechten Oberarm. Sie antwortete auch jetzt nicht auf seine Frage, sondern schien ihn weiterhin gar nicht zur Kenntnis zu nehmen, aber hinter ihm näherten sich schnelle Schritte, und dann sagte Katrin:
    »Nichts ist passiert. Ich bin nur –«
    Sie stockte mitten im Wort. Jan fing einen flüchtigen Eindruck ihres Gesichts im Spiegel auf und konnte für einen Moment regelrecht hören, was sich in ihrem Kopf abspielte. Er selbst verstellte ihr fast vollkommen den Blick ins Bad. Sie konnte nur sehen, daß er dastand und Vera anstarrte, die halb nackt über dem Waschbecken lehnte. Katrins Augenbrauen zogen sich zu einem dünnen, scharf geneigten Dreieck zusammen. Für eine Sekunde verhärtete sich ihr Gesicht. Ihre gesamte Gestalt war plötzlich so angespannt wie die eines Karate-Kämpfers, der alle Kraft zum entscheidenden Schlag sammelte.
    »Was ist hier los?« fragte sie scharf, trat mit einem energischen Schritt an ihm vorbei und riß dann ein zweites Mal und jetzt eindeutig erschrocken die Augen auf. »O Gott! Vera!«
    Endlich schien Vera wenigstens zur Kenntnis zu nehmen, daß sie nicht mehr allein war. Sie wandte kurz den Blick in ihre Richtung, machte mit der unverletzten Hand eine Geste, die wohl beruhigend sein sollte, und öffnete dann ungeschickt eine Tür des Spiegelschranks.
    »Vera, bitte!« sagte Katrin. In ihrer Stimme war eine Panik, die Jan auf widersinnige Weise zornig werden ließ. »Was ist passiert?«
    »Nichts«, antwortete Vera. »Ich hatte einen kleinen Unfall. Aber es sieht schlimmer aus als es ist.«
    »Es ist schlimm«, beharrte Katrin. »Ich rufe einen Arzt!«
    Vera schüttelte hastig den Kopf und kramte mit der linken Hand zwischen Jans Rasierwasserflaschen und Katrins Make-up-Utensilien im Schrank herum.
    »Das ist nicht nötig«, sagte sie. »Ich brauche nur ein bißchen Jod und Verbandszeug.«
    »Ich hole etwas.« Katrin drehte sich auf dem Absatz herum und rannte regelrecht aus dem Zimmer, und nur den Bruchteil einer Sekunde später drehte sich auch Vera zu Jan herum und sagte, leise, aber in sehr eindringlichem Ton:
    »Sag es ihr nicht.«
    »Was?« murmelte Jan verständnislos.
    »Was du ihr erzählen wolltest«, antwortete Vera.
    Er konnte hören, daß Katrin zurückkam. Sie mußte das Verbandskissen geradezu mit Lichtgeschwindigkeit aus dem Schrank in der Küche geholt haben, in dem sie es aufbewahrte.
    »Ich … verstehe nicht«, begann er, aber Vera unterbrach ihn mit einer hastigen Geste.
    »Ich erkläre dir alles. Später.«
    Katrin kam zurück, das abgewetzte Verbandskissen in der linken Hand, das er zu seiner bestandenen Führerscheinprüfung vor zehn Jahren geschenkt bekommen und das seither noch keinen Wagen von innen gesehen hatte, und ein Päckchen mit Mullbinden und eine Schere in der anderen.
    »Das ist wirklich nicht nötig«, begann Vera, aber sie hatte keine Chance gegen Katrins Beschützerinstinkt. Jan trat beiseite, soweit es in der Enge des winzigen Badezimmers überhaupt möglich war, besann sich nach einer Sekunde eines Besseren und ging rückwärts durch die Tür hinaus.
    Katrin verarztete Veras Arm mit großem Enthusiasmus, aber wenig Geschick. Jan wußte nicht, ob das, was sie tat, viel nutzte, war aber ziemlich

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