Dunkel ist die Sonne
Deyv, „wie könnte er sich über die Zukunft irren?“
„Er weiß nicht alles über die Vergangenheit. Was er darüber sagt, ist Lüge.“
„Aber Sloosh sagt, daß er nicht lügen kann.“
„Ja, das sagt er! Würdest du etwa einem Lügner glauben? Aber vielleicht bin ich zu streng. Sagen wir, daß er kein Lügner ist, aber daß er sich in einem großen Irrtum befindet. Das hat unser Schamane über ihn gesagt.“
Slooshs Bericht vertrug sich mit Deyvs Religion ebenfalls nicht. Aber er spürte, daß der Archkerri möglicherweise Zugang zu einer größeren Macht hatte als der Schamane der Schildkröten. War Sloosh nicht der Bruder der Bäume und der Gräser? Und waren die Bäume und die Gräser nicht die Haare der Mutter Erde? Waren sie denn nicht laut Stammesreligion auch Ihre ersten Kinder? Dies sagte er auch Vana.
Sie antwortete darauf: „Vielleicht hat Sloosh recht. Ich sage das nicht gern. Und vielleicht, und mögen meine Ahnen es mir vergeben, wenn ich gegen den Schamanen spreche, vielleicht weiß Sloosh ja wirklich, wovon er redet. Und wenn schon, was dann? Du und ich, wir werden unser Leben leben, und unsere Kinder und die Kinder unserer Kinder werden das ihre leben. Ich kann mir hundert Generationen nicht vorstellen. Für mich ist das alles viel zu weit entfernt, als daß ich mir darüber Sorgen machen müßte.
Wenn wir Glück haben, werden wir Kinder und Enkelkinder haben. Und wir werden essen und trinken und Spaß haben. Und dann werden wir alle sterben. Und das Schicksal der Welt wird uns nicht mehr berühren.
Unterdessen müssen wir diesen Dieb und unsere Seeleneier finden und zu unseren Familien zurückkehren. Und eines Tages werde ich alt sein und sterben. Und mein Stamm wird mich essen und …“
„Was? Dein Stamm wird dich essen?“ fragte Deyv.
„Natürlich.“
Daß sie eine Kannibalin war, schockierte ihn weit mehr als das bevorstehende Ende der Welt.
10
Der Yawtl hatte den Fehler begangen, statt einzelne Personen zu berauben in ein Dorf einzudringen. Seine rote Geisterspur führte seine Verfolger an den Rand des Dorfes. Diese Menschen lebten nicht in einem Haus, sondern in strohgedeckten Holzhäusern innerhalb einer hohen Einfriedung aus Holzpfählen. In dem Dorf schien es viele Frauen und Kinder, aber wenige Männer zu geben. Ein Toter lag in der Mitte des Dorfes, und ein Schamane und die Frauen tanzten um ihn herum einen Trauertanz.
Deyv schaute von einem Baum herunter und stellte fest, daß das Seelenei des Leichnams fehlte. Als er wieder hinuntergeklettert war, trugen er und Sloosh zusammen, was sie beobachtet hatten. Sloosh folgerte, daß der Yawtl beim Stehlen des Eies überrascht worden sein mußte. Während des anschließenden Kampfes war der Mann dann erschlagen worden. Der Stamm wachte dadurch auf, und die meisten Krieger hatten auf den Yawtl Jagd gemacht.
Der Archkerri folgte den Spuren bis zur Straße. Offensichtlich war der Dieb über diese Straße in die ursprüngliche Richtung geflohen. Aber wenn er vor den mutmaßlichen Rächern nicht einen großen Vorsprung hatte, würde er auf diese Weise kaum weitermachen können.
Während sie schneller als gewöhnlich über die Straße schritten, fragte Deyv den Archkerri nach seiner Meinung.
„Was glaubst du, warum der Yawtl sich so weit vorgewagt hat, um an die Eier heranzukommen? Warum hat er sich nicht einfach Stämme gesucht, die näher an seinem eigenen Gebiet liegen, und dann einzelnen Personen im Dschungel aufgelauert? Wo immer er auch leben mag, jedenfalls ist es weit entfernt von meinem Land.“
Die riesengroßen Augen inmitten des Wirsings schlossen sich. Nach einer Weile öffneten sie sich wieder.
„Ich würde sagen, er hat eine ganz bestimmte Sorte gesucht. Nicht einfach die Eier von irgendwem. Aber frage mich nicht, welche Sorte. Ich weiß es nicht.“
Gerade bevor es an der Zeit war zu ruhen, drehte sich der Wind und blies ihnen jetzt entgegen. Genau in dem Moment, in dem sie überlegten, ob sie sich in den Dschungel zurückziehen sollten, begann Jum mit gesträubten Haaren zu knurren. Sie konnten vor sich auf der Straße nichts erkennen, aber Deyv wußte, daß jemand auf sie zukam.
Hinter dem Gebüsch versteckt, sahen sie die Krieger zurückkehren. Es waren großgewachsene, sehnige Männer mit langen Beinen und fast schwarzer Haut, ganz dünnen Lippen, großen Hakennasen, langen, glatten schwarzen Haaren und dunkelbraunen Augen. Sie waren barfuß und trugen blaue, mit Fransen eingefaßte Kilts,
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