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Dunkel wie der Tod

Dunkel wie der Tod

Titel: Dunkel wie der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
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Kopf gerade, sodass sie mit leerem Blick in den Himmel hinaufstarrte. Ihre rechte Gesichtshälfte, an der sich nach ihrem Tod das Blut gestaut hatte, wies blauviolette Flecken auf – nur dort nicht, wo ihre Wange in das Gras gedrückt gewesen war. Weißlicher Schaum drang ihr aus Mund und Nase, zusätzlich zu den Maden.
    â€žAber nicht, dass Sie mir hier in Ohnmacht fallen“, sagte er.
    â€žIch falle nie in Ohnmacht.“
    â€žNell, ich habe Sie schon einmal ohnmächtig werden sehen.“ Er brach sich einen dünnen Zweig von einem Busch.
    â€žIch falle ganz selten in Ohnmacht. Was tun Sie da?“, fragte sie unvermittelt, als er eine der Maden auf die Spitze des Zweigs nahm, aufstand und sie aufmerksam betrachtete.
    â€žDer Lebenszyklus der Schmeißfliege folgt dem immergleichen Muster“, begann er, als er das winzige weiße Ding – wie ein sich windendes Reiskorn – auf die Fingerspitze nahm. „Kaum ist ein Lebewesen einige Minuten tot – meist genügen ein paar Sekunden –, und schon sind sie da und legen ihre Eier auf dem Leichnam ab. Nach einem Tag schlüpfen aus den Eiern Larven, die sich mithilfe dieser recht bedrohlich aussehenden Mundwerkzeuge ernähren. Hier … sehen Sie?“ Er hielt Nell die Made hin. Sie wich einen Schritt zurück und nickte stumm.
    â€žDie Larve nährt sich von dem Kadaver, wächst heran und häutet sich mehrere Male, bis sich nach ein oder zwei Wochen, je nach Luftfeuchtigkeit und Temperatur, die Mundwerkzeuge zurückbilden und die Larve zu schrumpfen scheint. Dann verpuppt sie sich in eine harte, dunkle Hülle, und noch ehe ein Monat um ist, schlüpft sie als Fliege wieder heraus.“
    â€žUnd das haben Sie alles durch ihre Beobachtungen an den toten Soldaten gelernt?“, fragte Nell.
    â€žUnd in Andersonville. Es war höllisch schwer, die Schmeißfliegen davon abzuhalten, das da“, er deutete auf Bridies entstelltes Gesicht, „bereits den armen Burschen im Krankenlager anzutun, als diese noch lebten.“
    Nell schauderte es.
    â€žLeider“, fuhr Will fort und musterte die Made, „war das Wetter während der letzten paar Tage so wechselhaft – den einen Tag kalt und regnerisch, am nächsten schon wieder sonnig und warm –, dass sich nur schwer sagen lässt, wie lange dieses kleine Kerlchen gebraucht haben mag, bis es sich zum jetzigen Stadium entwickelt hat. Mit Gewissheit kann ich derzeit nur sagen, dass der Tod vor mindestens anderthalb Tagen, höchstens aber vor einer Woche eingetreten ist.“
    Langsam freundete Nell sich mit der Thematik an und fragte: „Und was ist mit den anderen Indikatoren? Totenstarre, Verwesungsgrad …“
    â€žNichts deutet noch auf eine Leichenstarre hin, außer in den Händen, doch das ist nur ein Krampf“, sagte er und schnippte die Made fort. „Die Totenstarre ist somit bereits wieder abgeklungen, was hieße, dass dieses arme Mädchen vor mindestens sechsunddreißig Stunden gestorben ist – wie wir ja auch aus dem Vorhandensein der Larven hatten schließen können. Da die Verwesung stark vom Wetter und anderen äußeren Einflüssen abhängt, verrät sie uns in diesem Fall nicht viel. Ich habe zudem kein Thermometer bei mir, mit dem ich die Körpertemperatur messen könnte, doch die Haut fühlt sich kalt an …“
    Will hätte ebenso gut Medizinstudenten eine Vorlesung halten können, so ruhig und klar klangen seine Worte. Nell fand es einerseits faszinierend, einen Blick auf den Arzt zu erhaschen, zu dem er sich einst berufen gefühlt hatte, andererseits stimmte es sie auch ein wenig traurig. Dies war der Mann, den General Grant den besten Feldarzt der Unionsarmee genannt hatte. Und nun dienten diese geschickten, gut geschulten und so erfahrenen Hände, die schon viele Leben gerettet hatten, keinem anderen Zweck mehr, als einen Packen Spielkarten zu mischen.
    â€žAber wir haben sehr deutliche Leichenflecken“, fuhr er fort, „wie Sie an ihrem Gesicht hier sehen können. Wäre sie noch keine zwölf Stunden tot, würden die Flecken unter Druck verblassen, was sie aber nicht tun.“ Er ging wieder in die Hocke und drückte seinen Finger an ihre Wange, doch die violette Verfärbung zeigte tatsächlich keinerlei Veränderung. „Sie ist mit Sicherheit seit anderthalb Tagen tot – wahrscheinlich sogar schon länger,

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