Dunkel wie der Tod
zurück ins Haus und kam direkt in die mit Gerümpel zugestellte Wohnstube. Als sie die Tür zur Küche öffnete, sah sie, dass Will schon alles aufgeräumt hatte und nun hemdsärmelig auf einer der Obstkisten saÃ, den linken Ãrmel hoch aufgekrempelt, und sich eine Injektionsnadel in den Oberarm stieÃ.
Er schaute auf und sah sie an der Tür stehen. Seine kurz aufscheinende Bestürzung wich rasch jener kühlen Miene britischer Unerschütterlichkeit, die er so vortrefflich beherrschte. In seinen Augen spiegelte sich jedoch düstere Trostlosigkeit, und fast schien es, als schäme er sich. Sein Arm war von Einstichen und blauen Flecken übersät.
Will drückte den Kolben langsam durch und verabreichte sich eine Dosis Morphium. Eine Sekunde verging. Dann seufzte er mit halb geschlossenen Augen und zog die Nadel heraus.
âOh Will ⦠Das haben Sie doch wahrlich nicht nötigâ, sagte Nell.
âWenn dem so wäreâ, erwiderte er kühl und schraubte die Nadel von der Kanüle, âwürde ich es wohl kaum tun, oder?â
13. KAPITEL
Das Feld hinter der Obstwiese bestand aus einem Morgen vertrockneten Grases und Unkraut, in dem hie und da ein vereinzelter Baum stand. In Anbetracht ihrer hinderlich langen Röcke, entschied Nell sich, den näher am Haus und der Scheune gelegenen Teil des Feldes zu durchsuchen, wo das Gras nicht ganz so hoch stand. Ab und an schaute sie auf und sah Wills dunkel gekleidete Gestalt in der Ferne immer kleiner werden. Langsam, und dank der Morphiumdosis nun auch wieder recht anmutigen Schrittes, lief er durch das sanft im Wind wogende weizengelbe Gras in Richtung der von einem Wäldchen gesäumten östlichen Gemarkung.
Nell war froh über die leichte Brise, dank derer sie trotz der kräftigen Mittagssonne nicht allzu sehr ins Schwitzen geriet. Nach einer Weile setzte sie sich ihren schwarzen Strohhut so auf, dass nun die Krempe ihr Gesicht ganz in Schatten hüllte, damit sie keine Sommersprossen â oder schlimmer gar Sonnenbräune â bekam. Während sie damit beschäftigt war, sich den Hut wieder festzustecken, schaute sie abermals zu Will hinüber, der am anderen Ende des Feldes stehen geblieben war und auf etwas hinabblickte, das sie von hier aus nicht sehen konnte.
Er hatte seinen Hut abgenommen.
Nell raffte ihre Röcke zusammen, hob sie unschicklich weit hoch und eilte so schnell es ihr irgend möglich war durch das leise knisternde vertrocknete Gras. Mit jedem ihrer Schritte nahm sie den Verwesungsgeruch deutlicher wahr. Wohl weil er sie kommen hörte, schaute Will auf â seine Miene war düster. Und als sie nur noch wenige Meter von ihm entfernt war, wirbelte der Wind zu seinen FüÃen etwas auf, das im Sonnenlicht schimmerte und glänzte wie helles Kupfer.
Meine Bridie hat die schönsten roten Haare, die Sie sich vorstellen können. Wie sie in der Sonne leuchten â¦
Nell blieb wie angewurzelt stehen. Das Blut rauschte ihr in den Ohren, als sie zusah, wie Will langsam in die Hocke ging und seinen Hut neben sich legte. Sie blieb noch einen Moment stehen und machte sich auf das gefasst, was sie sogleich erblicken würde, bevor sie auch die letzten paar Schritte auf ihn zu machte.
Als Erstes sah sie nur noch mehr rotes Haar â dicke, sich wie Schlangen windende Locken, einzelne Strähnen, die leicht im Wind flatterten. Reglos blieb sie stehen, als sie dann Bridie selbst sah, auf dem Rücken im Gras liegend, die Arme flach am Körper, die Hände geballt, das Gesicht Nell zugewandt, doch von wirrem Haar verborgen. Sie trug ein grün und rosa gestreiftes Miederjäckchen, das weit aufgerissen war, sodass ihre Brüste und das Korsett hervorsahen, und um den Hals einen rostroten Seidenschal. Der rosafarbene Rock war bis zu den Schenkeln hochgeschoben, ebenso der Unterrock; eine Krinoline trug sie nicht. Wie ihr Haar, so wirkten auch ihre Kleider ein wenig steif und schienen ihr zu dicht am Körper anzuliegen â so, als ob es daraufgeregnet hätte und sie dann in der Sonne getrocknet wären.
Abgesehen von der eng in das Korsett geschnürten Taille, wirkte Bridie recht füllig, was Nell zunächst ein wenig erstaunte. Wie zwei Würste sahen ihre Arme in den sich darüber spannenden Ãrmeln des Jäckchens aus. Doch dann fiel Nells Blick auf ihre Beine â dick und unförmig, unter der glänzend gespannten Haut
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