Dunkel wie der Tod
Fallon nickte, und ihr Mann fügte hinzu: âGleich hinter der Fabrik die StraÃe runter.â
âWarum fragen Sie?â, erkundigte Viola sich bei Nell.
Weil Duncan dort ist. Nell strich ihr Kleid glatt und hörte den Brief in der Rocktasche rascheln, der letzten Freitag erst von Duncan gekommen war. âNur so.â
âWeià ja wirklich nicht, was du an dem gut aussehend findestâ, warf Mr. Fallon ein, âder mit seinen komischen Sternen auf der Stirn.â
âSterne?â Nell horchte auf.
âWährend dem Krieg war er in der Marineâ, erklärte Mrs. Fallon. âHat sich da eins von diesen Dingern machen lassen ⦠wie heiÃen sie doch, wo man sich in die Haut stechen lässt â¦â
âEine Tätowierungâ, meinte Viola. âSeeleute lassen sich oft so etwas machen.â
âJa schon, aber auf der Stirn?â, fragte Nell verständnislos.
Mrs. Fallon zuckte die Achseln. âWie gesagt, ich weià auch nicht, was sie an dem fand.â
âWie alt ist sie?â, wollte Nell wissen.
âEinundzwanzig.â
âUnd sie lebt bei Ihnen?â
âJaâ, sagte Mrs. Fallon. âNeinâ, meinte Mr. Fallon.
Nell legte den Kopf schräg, als wolle sie fragen: Ja, was denn nun?
Nach einem kurzen Seitenblick auf ihren Mann sagte Mrs. Fallon: âSie hat eine Weile in Boston gelebt, im North End, aber den ganzen Sommer über war sie wieder zu Hause.â
âUm in der Nähe von Mr. Hines zu sein?â, fragte Nell.
âDenk ich malâ, erwiderte Mrs. Fallon nach kurzem Zögern.
âDa die Polizei vermutet, sie sei mit Mr. Hines durchgebrannt, ist er wohl auch verschwundenâ, meinte Nell.
âIn den letzten Tagen hat ihn zumindest niemand mehr in Charlestown gesehenâ, erwiderte Mrs. Fallon, âaber das heiÃt noch lange nicht, dass Bridie mit ihm davon ist â zumindest nicht aus freien Stücken. So ist sie nicht. Im Grunde ihres Herzens ist sie ein gutes Mädchen.â
Woraufhin sich von Liam Fallon ein leises Schnauben vernehmen lieÃ. Doch seine Frau beachtete es nicht â oder war zu durcheinander, um es zu bemerken â und fuhr unbeirrt fort: âMeine Bridie hat die schönsten roten Haare, die Sie sich vorstellen können. Wie sie in der Sonne leuchten ⦠GroÃe grüne Augen hat sie und rosige Wangen. Wenn ihr etwas geschehen ist â¦â Sie senkte den Kopf und hob ihr in der Hand zerknülltes Taschentuch an die Augen. Ihre Schultern zuckten.
Ihr Mann fischte sich ein Sandwich aus dem Stapel auf dem Teller vor ihm, klappte es auf und beäugte argwöhnisch den Belag.
Gerade als Nell aufstehen wollte, um die arme Frau zu trösten, sagte Gracie auf einmal: âWarum weinst du denn?â Mit ihrer Puppe im Schlepptau ging sie zu Mrs. Fallon hinüber. âNicht weinen. Schau, willst du mal Hortense halten?â
Sie hielt der weinenden Frau ihre Puppe hin, die sie instinktiv nahm und auf jene mütterliche Weise, die manchen Frauen eigen ist, sogleich an ihre Schulter legte und mit der Hand das Köpfchen stützte. âGenauso hat sich meine kleine Bridie angefühltâ, meinte sie mit zitternder Stimme. âMeine anderen Kinder waren alle schwach und kränklich. Keins hat lange überlebt. Nur meine Bridie, die war gesund und munter und hat sich nicht unterkriegen lassen.â
âGut gemachtâ, flüsterte Nell Gracie kaum hörbar zu, als die Kleine sich wieder zu ihren anderen Puppen setzte.
âAls den Fallons klar wurde, dass Harry ihnen nicht helfen würdeâ, erklärte Viola Nell, âbeschlossen sie, zu Mr. Hewitt persönlich zu gehen.â
âWir sind zu seinem Büro an der India Wharf gegangenâ, sagte Mrs. Fallon, während sie der Puppe den Rücken tätschelte, âaber er wollte uns nicht empfangen. Hat so einen Kerl rausgeschickt, der uns verscheuchen sollte. Der meinte, wenn Mr. Harry findet, dass da nix zu machen wär, dann wär da auch nix zu machen. Ich hab ihn gefragt, was Mr. Hewitt denn machen würde, wenn sein Kind verschwunden wäre, und da meinte er, jetzt würde ich aber ⦠was war es noch mal, was ich werden würde?â
âImposantâ, brummelte ihr Mann mit dem Mund voller Sandwich.
âImpertinent?â, schlug Viola vor.
âDas warâs, ganz genau. Ich würde impertinent werden, hat er gesagt und uns vor
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