Dunkel wie der Tod
gut zu gefallen. Sogleich nahm sie Mrs. Fallon bei der Hand und zog sie mit sich fort.
âEs scheint somitâ, meinte Nell, während Mr. Fallon sich abermals dem Teller mit den Sandwiches zuwandte, âals gäbe es einen Mann zu viel im Leben Ihrer Stieftochter.â
Er schnaubte abfällig und schnappte sich schlieÃlich das Sandwich seiner Wahl. âDie hat sich doch schon die Lippen angemalt, da hat sie noch kurze Kleidchen getragen. So eine war das und war sie schon immer gewesen.â
War ? âGlauben Sie denn, dass sie tot ist?â
Er kaute und schluckte und klaubte sich dann noch ein Sandwich vom Teller. âMit so einer nimmt es nie ein gutes Ende, und mehr sag ich dazu nicht.â
âErzählen Sie mir etwas über den Ehemannâ, forderte Nell ihn auf. Viola verfolgte die Befragung schweigend, froh darüber, dass Nell es so machte, wie sie es für angemessen hielt â und gewiss der Grund, weshalb sie ihre Gouvernante hinzugeholt hatte. Seit letztem Winter, als Nell geholfen hatte, die wahren Umstände jenes Mordes aufzuklären, dessen Will verdächtigt worden war, konnte Viola den âscharfen Verstandâ ihrer Gouvernante gar nicht hoch genug preisen.
âEr ist Hochseefischer, wochenlang auf See, manchmal auch Monate. Die beiden warân seit einem Jahr zusammen. Der Himmel weiÃ, was er sich dabei gedacht hat, so eine wie Bridie zu heiraten. War eine von denen, die man an die Kandare nehmen muss.â Er stopfte sich das Sandwich in den Mund und fügte dann als Nachgedanken hinzu: â Ist eine von denen.â
âJimmy, nicht wahr?â
âSullivan. Jimmy Sullivan. Meine Frau glaubt, er würde übers Wasser wandeln können, aber der ist gewiss auch kein Heiliger, das kann ich Ihnen sagen. Da brennt öfter mal die Sicherung durch, bei dem Jimmy Sullivan, und Boxer ist er auch. Verdient sich bei Wettkämpfen in der Stadt mit den bloÃen Fäusten einen guten Penny.â
âHat er seine Fäuste auch einmal gegen Bridie gerichtet?â, wollte Nell wissen.
âEin- oder zweimal. Sie hatâs nicht anders gewollt â andern Männern schöne Augen gemacht, betrunken nach Hause gekommen ⦠Kann man ihm ja kaum verdenken, wenn er so eine wie Bridie im Zaum halten muss. Selbst meine Frau hat zu ihr gesagt, dass sie selbst Schuld hat. Wollte sie auch davon abbringen, sich rumzutreiben, während Jimmy auf See war. Ehebruch ist Sünde, hat sie ihr gesagt, und dass sie es besser wissen sollte.â
âWusste Jimmy, dass sie ihm untreu war?â
âEr hat sichâs wohl gedacht, wegen den Gerüchten und wie sie mit andern Männern umging und so. Sie hat aber immer alles abgestritten, und einem hübschen Mädel glaubt ein Mann ja alles, was sie will, dass man ihr glaubt. Aber er war halt öfter weg, als dass er daheim war, und wenn die Katze aus dem Haus ist â¦â
âEs gab also noch andere Männer auÃer Mr. Hines?â
âOh, sie war schon immer recht freizügig â zumindest bis dann letzten Mai dieser Virgil aufgetaucht ist. Ich wusst ja nie, wie sie alle heiÃen, die andern, aber den ganzen Sommer über hieà es dann auf einmal nur noch âVirgil diesâ und âVirgil dasâ.â
âSeit wann wohnt sie wieder zu Hause?â
âSeit Juni. Jimmy war ân paar Tage früher heimgekommen und hat die beiden erwischt. Bridie hat er ein blaues Auge geschlagen, aber Virgil hat er in Frieden gelassen. Meinte, er wüsste, dass es alles Bridies Schuld sei, sie wär halt wie âne läufige Hündin ⦠Oh, âtschuldigungâ, brummelte er und schaute Nell und Viola verlegen an.
âWir sind durchaus nicht so leicht zu schockierenâ, versicherte Viola ihm und warf Nell ein feines Lächeln zu.
âEr hat Mr. Hines einfach so laufen lassen?â, fragte Nell.
Mr. Fallon nickte. âMeinte nur, dass kein Mann so einer wie Bridie widerstehen könnte, wenn sie ihm ihren ⦠äh, also sich an ihn heranmachte. Er machte Virgil keinen Vorwurf. Hat ihm gesagt, er könne sie haben, solang sie ihm nie wieder unter die Augen käme, und klug beraten wär er, wenn er sie mit ein paar Schlägen zur Vernunft bringt, denn was anderes versteht sie nicht.â
âWissen Sie, ob Mr. Hines diesen Rat befolgt hat?â, erkundigte sich Nell.
Er schüttelte den Kopf. âSie lebt seit Juni
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