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Dunkel

Dunkel

Titel: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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wie er klappern würde, wenn sie ihn hochnähme und schüttelte — und das würde bei ihrer Kraft nicht schwer sein, da er nur aus Haut und Knochen bestand. Die Hälfte der Pillen brauchte er eigentlich nicht, aber sie erweckten den Eindruck, als kümmere man sich um ihn. Aber wie lange noch? Wie lange würde dieser alte Narr noch leben und wie lange noch konnte sie ihn ertragen? Geduld, Julie, sagte sie sich. Das Warten lohnt. Gott, sie würde auf seinem verdammten Grab tanzen. Vielleicht würde ihm der Winter den Rest geben? Der alte Knochen hielt nichts von der Zentralheizung, und der kleine Elektroheizer in seinem Zimmer heizte nur das Stück Teppich vorne dran. Sie hatte sein Schlafzimmerfenster oft genug aufgelassen, wenn sie zum Einkaufen ging und sich mitten in der Nacht hineingeschlichen, um es zu öffnen, wenn er schlief. Und bevor er erwachte, schloß sie es morgens wieder. Wenn er sich in diesem Winter keine Lungenentzündung holte, dann würde er nie sterben. Aber sie mußte vorsichtig sein; manchmal glaubte sie, daß er nicht so senil war, wie er tat.
    Sie nahm das Tablett und begann, die Treppe zum Schlafzimmer hochzusteigen. Auf der düsteren Treppe rutschte sie fast aus, Milch wurde auf dem Tablett verschüttet und sie verfluchte seinen Geiz. Das ganze Haus war nur düster erleuchtet, weil er zu schwache Glühbirnen benutzte. Selbst wenn eine entzwei ging war es schwer, seine Erlaubnis zu bekommen, eine neue zu kaufen. Er überprüfte jede Rechnung, die sie ihm vorlegte, und sein ganzer Körper war dann plötzlich wachsam, seine Hilflosigkeit rätselhafterweise wie weggeblasen; es war, als rechne er damit, daß sie ihn betrog. Als ob die wöchentliche Einkaufsabrechnung ihre Erfindung gewesen wäre. Alter Geizhals!
    Das einzige, was er gern bezahlte, waren die Medizin und die Pillen, die sie ihm gab. Das betrachtete er als Lebensversicherung.
    Benjamins wäßrige alte Augen beobachteten sie, als sie den Raum betrat. Er zog die Decken unter sein Kinn und lächelte sie zahnlos an.
    »Sei gesegnet, Julie«, sagte er. »Du bist ein gutes Mädchen!« »Sie trug das Tablett zum Bett hinüber und rückte die Lampe auf dem kleinen Nachttisch beiseite, um Platz zu machen. Die Schatten im Zimmer veränderten sich.
    »So«, sagte sie und setzte sich schwer auf die Bettkante. »Zuerst die Medizin, dann deine Pillen. Die kannst du mit der Milch nehmen.«
    »Hilf mir, mich aufzurichten, Julie«, sagte er schwach.
    Julie stöhnte innerlich, da sie wohl wußte, daß er sich allein aufrichten konnte. Sie griff unter seine Achseln, hob seine leichte Gestalt in sitzende Position und schüttelte die Kissen hinter ihm auf. Er saß da und grinste sie an, gelb, faltig und zahnlos. Sie wandte ihren Kopf ab.
    »Medizin«, sagte er.
    »Sie nahm die Flasche und goß etwas auf den Löffel. Benjamin öffnete seinen Mund weit und sie wurde an einen jungen Vogel erinnert, der darauf wartete, daß man ihm einen Wurm in den Schnabel stopfte. Julie schob den Löffel hinein und unterdrückte das Verlangen, ihm das ganze Ding in die dürre Kehle zu stopfen; er schlürfte die klebrige Flüssigkeit geräuschvoll.
    »Noch einen, wie ein guter Junge«, zwang sie sich zu sagen.
    Er verzog das Gesicht zu einer kindlichen Grimasse und ließ dann den Unterkiefer sinken.
    Als er den zweiten Löffel geschluckt hatte, kratzte sie damit über sein Kinn und streifte die Tropfen in seinen Mund zurück. Anschließend kamen die Pillen, die sie ihm wie Oblaten auf die bebende Zunge legte und die mit Milch hinterhergespült wurden. Sie wischte ihm den Mund mit einem Kleenextuch ab und er sank in sein Bett zurück, den Kopf noch immer durch die Kissen gestützt und mit einem Ausdruck der Zufriedenheit auf seinem Gesicht.
    »Du hast versprochen, bei mir zu sitzen«, sagte er listig.
    Sie nickte und wußte, was er meinte. Es war ein bescheidener Preis, den sie für das Geld des alten Bastards zahlte.
    »Du bist gut zu mir, Julie. All die Jahre hast nur du dich um mich gekümmert. Du bist alles, was ich habe. Aber du wirst es nicht bedauern, das verspreche ich dir, das wirst du nicht. Wenn ich tot bin, wird es dir gelohnt werden.«
    Sie tätschelte seine Hand. »So darfst du nicht sprechen. Du hast noch Jahre vor dir. Wahrscheinlich überlebst du mich.«
    Sie war erst neunundreißig, deshalb war diese Möglichkeit unwahrscheinlich, dachte sie.
    »Es wird dir gelohnt werden, Julie«, wiederholte er. »Löse dein Haar, meine Liebe. Du weißt, wie gern ich es

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