Dunkel
wollte sich verzweifelt befreien. Aber sie ließ ihn nicht los, sie hielt ihn mit einer Hand an sich gepreßt. Ihre Hand griff hinter ihren Kopf, sie nahm ihr Haar, das dort auf das Kissen quoll, formte es zu einem langen, dicken Zopf und schlang es um seinen hageren Hals.
»Julie, was tust du da? Bitte hör auf! Ich will nicht...«
Seine Worten wurden erstickt, als sie an dem Haar zu ziehen begann und auch ihre andere Hand dazu benutzte. Sie zog immer heftiger, fester daran, und sein Gesicht verzerrte sich, die Augen waren vor Entsetzen weit geöffnet und aus seinem Mund drangen kleine weißen Flocken.
»All diese Jahre ...«, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. »All diese Jahre ...« Die Tränen kamen ihr erneut, weil sie den Schmerz an ihren Haarwurzeln spürte. Aber sie zog weiter und seine gurgelnden Geräusche waren Musik in ihren Ohren. »All diese Jahre ...«
Die Dunkelheit in dem Raum begann noch dichter zu werden, bis es nicht einmal mehr genug Licht gab, um die Spalten der Vorhänge zu durchdringen. Sie konnte in der Schwärze überhaupt nichts sehen. Sie konnte nur sein gurgeln des Keuchen hören. Und das war genug.
8
Er saß in dem Wagen und beobachtete furchtsam das Haus. Obwohl der Motor abgestellt war, umfaßten seine Hände das Lenkrad fest, als sei er unentschlossen, ob er bleiben oder davonfahren sollte. Diesmal war die Sonne hinter besorgten Wolken versteckt und die Fenster waren schwarz und verschwiegen. Beechwood war kein gewöhnliches Haus mehr.
Bishop holte tief Atem, ließ das Lenkrad los, nahm mit einer Hand die Brille ab und legte sie auf den Beifahrersitz. Dann griff er nach seinem Koffer. Er ging rasch über das Pflaster, da er wußte, daß er das Haus niemals betreten würde, wenn er noch länger zögerte. Er wußte, daß seine Furcht irrational war, aber das machte sie nicht weniger gegenwärtig. Die Tür öffnete sich, als er die Stufen hochging, und Jessica lächelte ihn an. Als er näherkam, sah er, daß das Lächeln gespannt war; in ihren Augen war Nervosität. Er verstand diese Nervosität.
»Wir dachten, Sie kämen nicht«, sagte sie.
»Sie bezahlen mich doch, oder?« erwiderte er und bedauerte augenblicklich seine Grobheit.
Jessica blickte beiseite und schloß die Tür. »Man erwartet Sie.« Sie deutete auf die Tür zu seiner Linken, die gegenüber der Treppe. Einen Augenblick konnte er sich nicht bewegen, erwartete fast, die Beine über der Treppe baumeln zu sehen und den gefallenen Schuh darunter. Sie waren natürlich fort, aber die Schürfmarken an den Wänden waren geblieben.
Er spürte den leichten Druck von Jessicas Hand auf seinem Arm und verdrängte die Gedanken. Fast. Langsam ging er über den Korridor zu dem Zimmer. Eine Frau wartete dort mit Kulek und erhob sich, als Bishop hereinkam.
»Ich bin froh, daß Sie gekommen sind, Chris«, sagte Kulek aus dem Sessel, in dem er Platz genommen hatte, eine Hand auf den Spazierstock gestützt. »Das ist Mrs. Edith Metlock. Sie ist hier, um zu helfen.«
Bishop schüttelte ihre Hand und versuchte sich zu erinnern, wo er den Namen vorher gehört hatte. Sie war klein und stämmig, fast eine Matrone. Graue Strähnen liefen durch ihr schwarzes, krauses Haar, und ihre Wangen wölbten sich, als sie lächelte. Ihm wurde bewußt, daß sie früher sehr schön gewesen sein mußte, doch Beleibtheit und die Zeit verbargen diese Schönheit fast ganz. Ihre blassen Augen wirkten wie die Jessicas nervös. Ihr Händedruck war fest, doch ihre Handfläche war trotz der Kälte des Raumes feucht.
»Nennen Sie mich Edith«, sagte sie zu Bishop, und jetzt mischte sich Neugier mit ihrem Unbehagen.
»Wie wollen sie helfen... ?« Er stoppte mitten im Satz. »Edith Metlock? Ja, mir kam der Name bekannt vor. Sie sind ein Medium, nicht wahr?« Er spürte, daß er ärgerlich wurde.
»Ich bin eine Sensitive, ja.« Sie ließ seine Hand los, als sie die Aggression bemerkte, wußte um die Skepsis, die folgen würde.
Bishop wandte sich an Kulek. »Das haben Sie mir nicht gesagt. Das ist nicht erforderlich.«
»Es wurde erst im letzten Augenblick beschlossen, Chris«, entgegnete Kulek besänftigend. »Da das Haus so bald abgerissen wird, haben wir nicht viel Zeit. Edith ist zum Beobachten hier. Wenn nötig, wird Sie Ihnen helfen.«
»Wie? Indem sie die Geister der Menschen ruft, die hier starben?«
»Nein, nichts dergleichen. Edith wird uns etwas über die Atmosphäre des Hauses erzählen, die Gefühle, die sie empfängt. Sie wird
Weitere Kostenlose Bücher