Dunkelheit soll dich umfangen: Thriller (German Edition)
solange in die Küche.«
Sie setzte sich an den Tisch und starrte aus dem Fenster. Tränen stiegen ihr in die Augen, sie drängte sie jedoch mit aller Macht zurück, denn sie wollte nicht, dass Johnny sie so aufgelöst sah.
Gemurmel drang an ihr Ohr, aber die Stimmen waren zu leise, als dass sie hätte verstehen können, was gesprochen wurde. »Du hast nichts zu verbergen«, flüsterte sie. Die Wahrheit musste einfach über diese verrückten Anschuldigungen siegen.
Obwohl sie sich das einredete, hatte Vanessa vor Angst eine Gänsehaut am ganzen Körper. Sie hatte genug Geschichten von übereifrigen Sozialarbeitern gehört. Nachdem Fälle von Kindstötung durch die eigenen Eltern bekanntgeworden waren, in denen das Jugendamt zu spät eingegriffen hatte, gab man sich nun übervorsichtig.
Vanessa wusste nicht, was sie tun würde, wenn man ihr Johnny wegnahm. Er war ihr ganzes Glück. Nur für ihn lebte sie.
Freida White redete endlose zwanzig Minuten mit Johnny. Anschließend rief sie Vanessa ins Wohnzimmer. Vanessa lächelte ihren Sohn an, sagte ihm, er könne nun wieder hinaufgehen, und wandte sich dann der Sozialarbeiterin zu. Vanessa schlug das Herz bis zum Hals.
»Ich werde vermerken, dass die Anzeige unbegründet ist, allerdings mit der Empfehlung, die Akte erst in sechs Monaten zu schließen«, sagte sie.
Vanessa nickte. »Glauben Sie mir, ich würde nie etwas tun, das meinem Sohn in irgendeiner Weise schaden könnte.«
»Im Moment besteht kein Anlass zu weiteren Nachforschungen, aber wenn noch einmal Beschwerden kommen oder sich der Verdacht erhärtet, dass das Kind gefährdet ist, müssen wir einschreiten.«
»Natürlich«, sagte Vanessa und begleitete Freida White zur Tür.
Als die Sozialarbeiterin aus der Einfahrt fuhr, wich Vanessas Panik einer heftigen Wut. Erst die Anrufe, jetzt das. Irgendjemand versuchte anscheinend, sie in den Wahnsinn zu treiben. Irgendjemand wollte ihr Leben zerstören.
Wer steckte nur dahinter? Wer war so bösartig, sie beim Jugendamt anzuschwärzen? Wer hatte ein Interesse daran, dass man ihr Johnny wegnahm?
Und wie sollte sie sich zur Wehr setzen, wenn sie nicht einmal wusste, wer für all das verantwortlich war? Wie schützte man sich vor einer namenlosen, gesichtslosen Gefahr?
Tyler King saß am Tisch im Besprechungsraum, nippte an einem widerlich schwarzen Kaffee und starrte auf die Reste eines Hamburgers vor sich. Eigentlich sollte er längst im Bett sein. Sein Team war schon vor Stunden nach Hause gegangen. Die meisten von ihnen hatten Familie, aber auf King wartete niemand. Außerdem war er inzwischen so frustriert, dass er sowieso nicht würde schlafen können.
Er war ein Mensch, der schon immer sehr wenig Schlaf gebraucht hatte. Früher hatte seine Mutter sich ständig Sorgen gemacht, weil er keine Nacht durchschlief. »Der Körper braucht Ruhe«, pflegte sie zu sagen. Darauf erwiderte er immer, dass er sich ausruhen würde, wenn er tot sei.
Finster musterte King die Hamburgerreste und schaute dann auf die Magnettafel am anderen Ende des Raums. Drei tote Männer, alle mit roter Farbe bepinselt.
Er konzentrierte sich auf die Fotos des letzten Opfers. Gary Bernard. Das eine zeigte ihn vor einer roten Felsformation in Sedona, das andere war das Tatortfoto, auf dem er unkenntlich war. Die Polizei hatte den Mord an Bernard noch nicht bekanntgegeben, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis die Öffentlichkeit erfuhr, dass ein Serienmörder in der Stadt herumlief.
In den letzten Tagen hatten sie ein paar Dinge über Gary Bernard in Erfahrung gebracht. Er war vierunddreißig Jahre alt, das einzige Kind wohlhabender Eltern, die vor zehn Jahren gestorben waren. Und er war Künstler gewesen, hatte allerdings weder in Andre’s Gallery ausgestellt, noch war er einer von Matt McCanns Klienten.
Es musste eine Verbindung geben. King wusste, dass er etwas übersah, irgendetwas, das diese Männer in den Augen des Mörders miteinander verband.
Er und sein Team hatten das Leben der drei Opfer so gut sie konnten rekonstruiert. Sie hatten mit Freunden, Nachbarn und Angehörigen geredet, um irgendeine Gemeinsamkeit zu finden.
Ein Kunsthändler, ein Künstleragent und ein Künstler. Kunst war ganz offensichtlich das, was sie gemeinsam hatten. Aber da musste noch etwas anderes sein, etwas Persönliches.
Die Taten waren mit äußerster Brutalität ausgeführt worden, die Opfer nicht nur erschlagen, sondern noch nach ihrem Tod übel zugerichtet worden, was darauf schließen
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