Dunkelheit soll dich umfangen: Thriller (German Edition)
das mit uns vorbei ist, und ich will deinen Sohn kennenlernen. Bitte sag, dass es noch nicht zu spät ist.«
Vanessa hätte sich am liebsten sofort in seine Arme geworfen , doch sie widerstand dem Drang, denn erst musste sie ihm eine Frage stellen. Wenn er die falsche Antwort gab, oder sie auch nur die geringste Veranlassung hatte, an seiner Aussage zu zweifeln, wäre es endgültig zu spät für sie beide.
»Hast du mich beim Jugendamt angezeigt?«
Entweder war er der beste Lügner der Welt, oder die Frage überraschte ihn wirklich. »Beim Jugendamt? Warum hätte ich das tun sollen?«
»Irgendjemand hat dort angerufen und behauptet, ich sei Alkoholikerin und Johnny sei in Gefahr.«
»Was?« Er sah sie schockiert an. »Wieso das denn?«
»Ich wünschte, ich wüsste es.« Die Kälte kroch Vanessa bis in die Knochen, und sie streckte die Hände aus, um sie über dem Feuer zu wärmen.
»Vanessa, ich würde niemals so etwas tun. Herrgott, wie kannst du nur denken, dass ich dazu in der Lage wäre?«
»Es tut mir leid. Ich musste dich das fragen. Ich versuche einfach, mir einen Reim auf das zu machen, was in letzter Zeit passiert ist.«
»Ist noch etwas anderes passiert?«
»Nichts Besonderes«, antwortete sie. Sie hatte keine Lust, über die anonymen Anrufe zu reden, über das Gefühl, beobachtet zu werden. Heute Abend war nicht die Zeit für Ängste und Sorgen, heute Abend wollte sie Spaß haben.
»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Welche Frage?« Sie sah ihn neugierig an.
»Ist es zu spät? Oder gibst du mir noch eine Chance?«
Sie konnte sein Begehren beinahe körperlich spüren, und vor Aufregung schlug ihr das Herz bis zum Hals. Hoffnung keimte in ihr auf, dass noch nicht alles verloren war. »Kannst du Schlittschuh laufen, Christian?«
»Ich habe noch nie im Leben auf solchen Dingern gestanden.«
Sie grinste ihn an. »Dann ist heute eben das erste Mal. Komm, wir gehen aufs Eis.«
Wenige Minuten später hatten sie Schlittschuhe an und gesellten sich zu Johnny. Es dauerte eine Weile, bis Christian einigermaßen sicher auf den Beinen stand, aber als er den Trick raushatte, zeigte er ein gewisses Maß an Talent.
Vanessa beobachtete, wie Christian und Johnny mitein ander umgingen. Johnnys unverkrampftes Verhalten konnte den Anschein erwecken, als wäre ein Mann an der Seite seiner Mutter nichts Neues für ihn. Christian wirkte anfangs sehr angestrengt, aber mit der Zeit entspannte er sich und schien das Ganze zu genießen.
Nach einer halben Stunde auf dem Eis holten sie sich heißen Kakao und Cookies, setzten sich auf eine Bank und sahen dem Treiben auf dem See zu.
»Ich habe bei einem Kunstwettbewerb mitgemacht«, sagte Johnny zu Christian, »und am Freitagabend ist die Ausstellung, magst du mit Mom und mir da hingehen?«
»Gern, allerdings verstehe ich von Malerei rein gar nichts«, antwortete er.
»Schon okay. Mom versteht auch nichts davon.« Johnny schlürfte seinen heißen Kakao. »Scott sagt, dass ich bestimmt den ersten Preis kriege.«
»Es kommt nicht drauf an, einen Preis zu kriegen. Die Hauptsache ist, dass du dich wirklich bemüht hast«, sagte Vanessa.
»Doch, ich muss gewinnen. Ich bin die Hoffnung der Abbotts«, sagte er mit Feuereifer.
Vanessa zog die Stirn in Falten. »Wer sagt denn so was?«
»Grandma und Onkel Garrett. Sie hoffen, dass mein Bild mich berühmt macht, so berühmt wie Dad.«
Vanessa nahm sich vor, mit Annette und Garrett zu reden. Sie hatten wahrscheinlich keine Ahnung, wie sehr sie Johnny unter Druck setzten. Einem solchen Druck war ein Zehnjähriger nicht gewachsen.
»Johnny, mein Süßer, du musst nur glücklich sein. Das ist alles«, sagte sie.
Er grinste schief. »Wenn ich mir noch ein Cookie holen könnte, wäre ich glücklich.«
Sie lachte. »Worauf wartest du?« Und weg war er.
»Ein netter Junge«, sagte Christian.
Vanessa nickte. »Ja, Johnny ist ein guter Junge, aber manchmal mache ich mir Sorgen, weil ihm die Kunst so wichtig ist. Er interessiert sich kaum für Computerspiele. Und er malt lieber, als dass er ins Kino geht. Außerdem stört mich, dass meine Schwiegermutter und Jims Brüder ihm einreden, er müsse sich anstrengen, um für die Familie erfolgreich zu sein.«
»Mein Vater wollte immer, dass ich in seine Fußstapfen trete und Pianist werde, aber zu seinem Entsetzen hatte ich große, ungeschickte Hände. Als er erkannte, dass ich keine Miniaturausgabe von ihm werden würde, beschloss er, seine wertvolle Zeit nicht weiter
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