Dunkelmond
es sah, wusste sie, er war das kostbare Gut gewesen, das sie empfangen und in den Armen gehalten hatte. Und das sie törichterweise von sich gestoßen hatte.
Sie kannte jeden Zug dieses Angesichts, jeden Fleck in der Iris, und sogar die pechschwarze Haarsträhne, die ihm in die Stirn fiel. Noch vor wenigen Herzschlägen war dieses Antlitz voller Zärtlichkeit gewesen, hatte sich nicht sattsehen können an ihr. Doch als sich ihre Blicke nun trafen, fuhr sie erschrocken zurück.
In den Augen glomm Hass. Schlimmer noch, es war Ekel.
»Ihr habt überlebt, Mendari«, stieß er schließlich hervor.
Nach einem erkennbaren Zaudern trat er vor und schob mit spitzen Fingern die Bluse ein wenig beiseite, die sie über ihre Brust gezogen hatte. Er schien um jeden Preis vermeiden zu wollen, ihre Haut zu berühren.
Sanara folgte seinem Blick. Seine Augen weiteten sich, als er sah, dass sich die Wunde, vom qasarag verursacht, geschlossen hatte. Nicht einmal mehr eine Narbe war zu sehen.
»Ich wusste, Ihr seid stark«, wisperte er. »Ihr seid geheilt! Obwohl ich, ein Heiler, Eure Magie löschte! Welcher dunkle Zauber ist so mächtig?«
Sein Blick klebte fassungslos an ihr, als könne er nicht glauben, dass er, der Heiler und Bruder des Königs, so versagt hatte.
Sanara erkannte, dass er keine Antwort erwartete, denn er sprach mit sich selbst und nicht zu ihr.
Und doch verstand sie den Abscheu nicht, der aus seinen Worten sprach.
Sie steht auf dem Mosaik aus Glasfluss im Tempel der Ys. Silbriges Mondlicht lässt die schlanke Gestalt des Elben vor ihr aufleuchten. Noch nie hat Sanara einen Mann so begehrt wie Telarion Norandar, und in seinen seltsamen Augen sieht sie, dass er für sie das Gleiche empfindet.
Sie wollte ihm zurufen, welche Freude sie selbst empfunden hatte, als sie ihn, den Heermeister und Bruder des Königs, umarmt und geliebt hatte. Doch der Abscheu in seinem Gesicht verbot jede Antwort auf das, was er gesagt hatte. Die Trauer über das, was sie verloren hatte, drohte, sie zu übermannen.
»Es war kein dunkler Zauber, wie Ihr es nennt«, sagte sie dannund war erleichtert, dass ihre Stimme rau, aber fest klang und nur leicht zitterte. »Ich bin sicher, dass Ihr mich töten wolltet, Fürst«, fuhr sie mit aller Würde fort, die sie in sich finden konnte. »Aber ich bin auch sicher, dass Ihr ebenso gut wie ich wisst, wer Euch daran hinderte, es zu tun! Nur der Schöpfergeist der Harmonie hätte die Macht, Eurer Magie zu trotzen.«
Für einen Augenblick sah es so aus, als überrasche ihn der Widerspruch. Er hob eine Hand und fuhr damit zornig durch die Luft. Es sah aus, als wolle er sich ablenken von einem Gedanken, den sie ihm eingegeben hatte.
»Ihr lügt, wenn Ihr nur den Mund aufmacht, Mendari«, sagte er dann lauter als notwendig. »Wollt Ihr der Liste Eurer Verbrechen – Lügen, Verrat und Mord – wirklich noch die Blasphemie hinzufügen?«
Er schnaubte. »Ihr habt meine Kraft überlebt, Mendari. Ihr gebietet offenbar nicht nur über das Feuer, sondern seid auch eine Herrin der Seelen, wie man bei Eurem Volk sagt. So konntet ihr meiner Seele vorgaukeln, alles geschehe im Namen der Ys!« Er stieß ein verächtliches kleines Lachen hervor. »Und ich habe Euch noch dabei geholfen, indem ich Eure Seele in den Körper zurückbefahl! Es sollte mich nicht wundern, dass Ihr sofort versuchtet, mich Eurerseits zu töten. Ihr seid eben eine Amadian und damit im doppelten Sinn eine Herrin des Todes.«
Sanara fuhr auf. Dass er die Schönheit dessen, was sie geteilt hatten, so fortwerfen konnte, ließ sie alles, außer der Enttäuschung darüber, vergessen. Mit einem Mal stand sie vor dem Bett.
»Ihr könnt leugnen, was Ihr wollt!«, stieß sie hervor. »Ich habe meine Magie nicht gegen Euch gewandt, genauso wenig wie mein Vater dies einst tat! Dazu ist Seelenmagie nicht gemacht! Siwanon hatte keinen Grund, Dajaram zu hassen. Warum hätte er ihn töten sollen? Wir Seelenherren befehlen den Kräften des Goldmonds nicht!«
Nun war er es, der vor Zorn bebte. »Und wieder nennt Ihr mich einen Lügner und meinen Bruder gar einen Mörder!«
»Bei Euch ist es vielleicht die Unwissenheit über Akusus Gabe, den Jenseitigen Nebeln zu befehlen, aber Euer Bruder ein Lügner und Mörder, so wahr ich hier stehe!«, schrie Sanara. Ihre Brust schmerzte, sie hatte das Gefühl, ihre Knie würden jeden Moment nachgeben, und sie wusste nicht, wo sie die Kraft herbekam, stehen zu bleiben; doch jegliche Furcht, die der Fürst
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