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Dunkelmond

Dunkelmond

Titel: Dunkelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
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Eiskristalle zerspringen.
    E ben noch das wütende Heulen des Sturms – jetzt fast vollkommene Stille. Plötzlich und übergangslos ist ihr nicht mehr kalt. Die Angst ist verschwunden.
    Ist das der Tod?
    Sie öffnet die Augen, steht auf einer weiten Ebene. Der Boden ist ein Mosaik aus silbernem und weißem Glasfluss.
    Sie kennt das Zeichen, das die Steine bilden. Das Zeichen der Gerechtigkeit und des ewigen Gleichgewichts in der Welt, eine Kugel – das Zeichen der Ys, der Schöpferkraft der ewigen Harmonie. Das Mosaik ist von einem Kranz aus gewaltigen, kannelierten Säulen umgeben.
    Als sie den Blick erhebt, stellt sie fest, dass die Säulen kein Dach tragen. Der Nachthimmel ist voller Sterne, und der Silberne Mond steht genau über ihr. Der Goldene und der Dunkle leuchten gemeinsam am östlichen Horizont.
    Als ihr Blick nach Westen geht, der Himmelsrichtung der Erde, stellt sie fest, dass dort die Weiße Sonne gerade untergeht. Sonnen und Monde erstrahlen gleichzeitig am Himmel, als stünde die Zeit still.
    Als sie sich auf die Landschaft hinter den Säulen konzentriert, sieht sie, dass sie sich auf dem höchsten Gipfel eines Gebirges befindet. Der Berggipfel ist so hoch, dass die Sterne selbst am Tage zu sehen sind.
    Tief unter ihr liegt die Welt unter einer dichten Wolkendecke verborgen. Um den Fuß der Säulen haben sich Schneeverwehungen gebildet, in denen Nessablüten von der Farbe der Roten Sonne blühen.
    »Seid willkommen.«
    Die Stimme klingt wie die eines Geistes der Jenseitigen Nebel sowohl im Ohr als auch im Inneren Sanaras. Es ist die sanfte, dunkle Stimme einer Frau, alt und wissend, aber auch jung und heiter.
    Erst jetzt bemerkt sie, dass sie nicht allein ist.
    Am nördlichsten Punkt der von den Säulen umgebenen Fläche steht eine Gestalt und lächelt sie an. Als Seelenherrin weiß Sanara s ofort, dass diese Erscheinung sich halb im Jenseits und halb in dieser Welt befindet. Eine kleine Frau, deren dunkles Haar weit über die Hüfte fällt. Es ist nicht zu erkennen, ob sie die Haare offen trägt oder sie – ähnlich wie Anjoris – in dünne Zöpfe geflochten hat. Ihr Gewand ist silbrig.
    Sanara schließt die Augen, geht in die Knie und breitet demütig die Arme aus. Sie weiß, dass sie vor dem Schöpfergeist der Harmonie und der Ordnung steht.
    Sie spürt das Lächeln der Ys durch die geschlossenen Augen hindurch wie ein sachtes Streicheln. Langsam, als treibe nicht ihr eigener Wille sie an, erhebt sie sich wieder.
    »Du bist die Seelenherrin«, spricht die Stimme der Ys. »Du bist alles, was ich und der Schöpfergeist des Chaos dem Volk des jüngeren Mondes schenkten. Du bist Erde und Feuer, Herrin der Seelen und Herrscherin über den Tod, du bist der Sommer, in dem das Leben am lebendigsten ist. Du bist Wärme, Mittag und Licht. Und doch kannst du nicht sein ohne Wasser, ohne Luft, ohne die Gabe des Lebens, ohne Winter und Kälte, Nacht und Schatten.«
    Sanara spürt plötzlich, dass sie nicht allein vor Ys steht. Als sie die Augen langsam wieder öffnet, sieht sie einem hochgewachsenen Elben in die Augen.
    Sie erkennt ihn wieder. Es ist Telarion Norandar.
    Angst macht sich breit in ihr, sie will zurückweichen, doch sie kann sich nicht rühren. Es ist, als halte Ys sie fest.
    »Fliehe nicht. Er ist alles, was du nicht bist – und damit deine Ergänzung.«
    Sie wendet sich an Telarion, dem der Widerwille ebenfalls ins Gesicht geschrieben steht. Doch wie sie hat auch er die Arme demütig ausgebreitet und bleibt stehen.
    »Du bist die wirbelnde Luft, die frische Kälte des Morgens und die Gischt des Wasserfalls, die im Laub glitzert. Du bist der erste Frühlingstag nach dem Winter, der, der alles Leid und selbst den Tod heilt. Du existierst durch sie, wie sie durch dich. Es gibt keine Kälte ohne Hitze, kein Licht ohne Schatten. Kein Leben ohne Tod.«
    Y s nimmt erst seine Hände, dann ihre und spricht weiter.
    »Einst wollte ich meinen Geliebten aus der Welt verbannen. Doch er hat unserem Werk den unbändigen Schöpfungswillen eingegeben, so wie ich ihm die Ordnung. Und so liegt beides in der Natur dieser Welt: Harmonie und Chaos. Ich beruhigte Syths Kräfte zu lange, und nun bricht sich das natürliche Chaos der Dinge Bahn. Als er mich verließ, prophezeite er mir dies, doch ich wollte es nicht glauben. Nun weiß ich es besser. Doch er und ich haben die Macht über unsere Schöpfung abgegeben. Nur die Kinder der Zwillingsmonde können uns jetzt noch helfen. Die Macht liegt bei

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