Dunkelmond
ließ sich nieder und drückte seine verschwitzte Stirn in ein Tuch, das für diesen Zweck bereitlag. Er sah seinem Vertrauten nicht in die Augen, so als könne ihm dieser ansehen, was in ihm vor sich ging.
»Ihr habt immer noch die Magie dieser Frau in Euch, Mendaron«, sagte Gomaran ruhig und löste die Haare, die er für den Kampf hochgebunden hatte.
Telarion hielt für einen Augenblick in der Bewegung inne. Das klang nicht nach einer Frage, sondern einer Feststellung.
Erst nach einer langen Pause antwortete er. »Das ist wahr.«
»Vielleicht hätte Euer Bruder Euch doch gestatten sollen, in den Palast der Stürme zurückzukehren.«
Telarions Blick fiel auf die Wand des Waffensaals, dessen Fenster nach Süden wiesen. Die Wände waren aus dem violetten und gelben Granit, der für Syth und das Feuer stand. Für den Krieg und den Zorn. Die Wandgemälde, mit denen der Saal geschmückt war, erzählten von den großen Schlachten zwischen Menschen und Elben, aber auch von den Tumulten, die Syth in der noch jungen Schöpfung ausgelöst hatte; zu Beginn der Welt, als selbst die Zwillingsmonde noch nicht geboren waren.
Irgendwie schien es passend, dass er sich in seinem Zustand hier befand.
»Ich kann Vanar nicht gegenübertreten. Nicht jetzt«, murmelte er.
Gomaran band die oberen Strähnen seiner Haare zum traditionellen Knoten der Elben zusammen. Die dunkelgrünen Augen bildeten einen seltsamen Kontrast zu seinem Haar, das wie bei den meisten Elben aus dem Wald von Mundess die gleiche Farbe wie das Holz des Mayalabaums hatte und damit heller war als sein Gesicht.
Gomaran war mit ihm aufgewachsen. Sie waren verwandt, und bei aller Verbundenheit, die er zu Tarind empfand, fragte sich Telarion oft, ob Gomaran seinem Herzen nicht noch näher stand.
Er stockte und dachte zum hundertsten Mal in den vergangenen Tagen daran, seinem Milchbruder zu erzählen, was die Begegnungen mit dieser Hexe in ihm ausgelöst hatten – und immer noch auslösten. Doch wie jedes Mal zuvor siegte auch jetzt die Scham. Er brachte nicht über die Lippen wie umfassend der Sieg gewesen war, den die Tochter des Siwanon über ihn davongetragen hatte.
Und wie wenig er dagegen zu tun vermochte.
Doch es schien, als verstünde Gomaran seine Gefühle auch ohne Worte.
»Als Ihr mir vor einigen Tagen erzähltet, Ihr wünschtet in den Palast der Winde zurückzukehren, war ich dagegen«, sagte der Hauptmann und lehnte sich an die Wand. Er sah Telarion an. »Ich hielt den Kampf um den Frieden auf dieser Welt für wichtiger.Es war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen ich mit Eurer Entscheidung nicht einverstanden war. Und ich entschuldige mich dafür, denn nun scheint mir, Ihr habt diesen Wunsch aus gutem Grund geäußert. Vielleicht hätte Euer Bruder recht daran getan, Euch Eure Bitte nicht abzuschlagen.«
Telarion trafen die Worte mehr, als ein direkter Vorwurf es vermocht hätte. »Ich hätte dich nicht getötet!«, fuhr er auf und bemerkte erschrocken, wie verletzt seine Stimme klang. »Das könnte ich nicht! Manchmal glaube ich, du stehst mir näher als selbst Tarind«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.
»Ihr seid mein Milchbruder«, erwiderte Gomaran. Es klang fast liebevoll. »Es mag sein, dass Yveth von Kantis den König und Euch gleichzeitig empfing, austrug und zur Welt brachte. Doch wir beide wurden von derselben Mutter genährt, und ich war sogar im Palast der Winde bei Euch.«
»Ich könnte dich nicht verletzen«, murmelte Telarion. Zu seinem Zorn, von der Tochter des Siwanon besiegt worden zu sein, gesellte sich nun auch noch die Scham, die er Gomaran von Malebe gegenüber empfand. Auch diese Scham schürte das Feuer, den Rauch und damit den Zorn in ihm nur noch weiter.
»Ich bin sicher, ich war es nicht, den Ihr vorhin töten wolltet«, sagte Gomaran jetzt. »Es scheint mir notwendig, dass Ihr darüber sprecht. Und wenn es nicht Vanar sein kann oder darf, dem Ihr Euch sonst immer anvertraut, und auch Euer Zwilling Euch nicht anhören will – denn wer wollte Tarind verübeln, dass er auf seinen Bruder und Heermeister nicht verzichten mag, wenn er übermorgen aufbricht, um den Zaranthen zu besiegen! –, dann solltet Ihr mit mir darüber sprechen, wie es Euch bei dieser Feuerhexe erging.«
»Es gibt nicht viel zu sagen. Das meiste weißt du schon«, wiegelte Telarion ab.
»Ich weiß, dass Ihr zu dieser Frau gingt. Und dass sie trotz Eures offenbaren Hasses auf sie weiter am Leben ist.«
Telarion nickte düster.
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