Dunkelmond
»Du warst dabei, als die Wachen michriefen, weil ihr etwas geschehen sei. Sie vermuteten, dass sie sich etwas angetan habe und wagten nicht, es dem König zu melden.«
»Die beiden sagten, sie hätte versucht, sich umzubringen.« Gomaran runzelte die Stirn. »Ich konnte es nicht glauben. Woher sollte diese Frau eine Waffe haben? Und warum sollte sich eine wie sie, eine Amadian, damit selbst verletzen, ja, das Leben nehmen wollen? Und doch schworen beide Stein und Bein, sie würde in ihrem eigenen Blut liegen. Ich vermutete jedoch, sie seien im düsteren Licht des Gemachs, so kurz vor Untergang der Roten Sonne, einem Irrtum aufgesessen.«
»Nein. Sie lag da, eine Pfütze, nein, einen See von Blut unter sich. Sie hätte tot sein müssen, das wusste ich in dem Moment, in dem ich das Zimmer betrat.«
Gomarans Augen weiteten sich. Er gab einen Laut des Erstaunens von sich. »Und doch lebt sie. Ich hatte bisher geglaubt, sie habe versucht, Euch in einen Hinterhalt zu locken.«
»Nein, das kam danach. Woher hätte sie auch wissen sollen, dass die Wachen mich holen würden? Sie hat versucht, sich selbst zu richten, wahrscheinlich, weil sie uns nicht dienen wollte und keinen anderen Ausweg sah. Ihre Seele hatte den Körper verlassen, als ich kam, auch wenn sie noch nicht in die Nebel gegangen war. Sie kniete neben ihrem blutenden Körper, als könne sie nicht gehen, als wolle sie ihn beschützen. Nur darum habe ich versucht, sie zu heilen und ins Leben zurückzubefehlen. Und dann, als ich ihrer Seele wieder befohlen hatte, in den Körper zurückzukehren, fand ich den Grund, warum sie nicht gegangen war. Hier …«
Er griff in die Falten der Schärpe, die neben ihm lag, und zog das Päckchen hervor, das er seit Tagen mit sich herumtrug. Das Leinen, in das er den qasarag eingeschlagen hatte, war hier und dort ein wenig steif geworden, wo das Blut der Hexe den Stoff getränkt hatte. Es klebte, als er es auswickelte.
Für einen Moment schoss Telarion der Gedanke durch den Kopf, dass ihr Blut noch an der Klinge gewesen war, als sie ihndamit verletzt hatte. Er fragte sich, ob das wohl mit ein Grund dafür war, dass er ihre Magie nun nicht mehr loswurde und ständig diese Träume von ihr hatte.
Gomarans Augen weiteten sich erneut, als er den Dolch sah. Er pfiff durch die Zähne und streckte unwillkürlich die Hand nach der Waffe aus. Doch die Fingerspitzen verhielten kurz über der Klinge, ohne sie zu berühren. Das getrocknete Blut daran schien den Anblick nicht zu stören, sondern zu der Magie, die von der Waffe ausging, zu passen und ihre düstere Schönheit noch zu verstärken. »Eine wunderschöne Arbeit«, murmelte er nach einer Weile. »Ich spüre die Macht in den Fingerspitzen.« Er sah Telarion besorgt an. »Vielleicht solltet Ihr in Erwägung ziehen, ihn nicht mehr so eng am Leib zu tragen?«
Telarion winkte ab. »Ich lasse ihn nicht mehr aus den Augen.«
Gomaran furchte die Stirn. »Das … das ist das Verrückteste, was ich je hörte! Eine Dunkelmagierin versucht, sich mit einem dunkelmagischen Dolch umzubringen? Wenn sie ihn heimlich bei sich getragen hätte – es hätte sie gestärkt. Was hätte sie damit anrichten können!«
Der Heermeister zuckte mit den Achseln. »Ich denke, sie wusste es nicht. Sie ist eine Amadian, aber sie weiß nur wenig über Magie, selbst über die eigene, und ist nicht von ihrem Schöpfer gezeichnet. Aber eines wusste sie sicher, sobald ich sie ins Leben zurückgeholt hatte – dass ich in dem Moment angreifbar war!«
Die Heftigkeit, mit der Telarion den letzten Satz hervorstieß, ließ Gomaran zusammenzucken.
Nach einem Blick in Gomarans fragende Miene sprach Telarion weiter. »Sie griff mich sofort mit dem Dolch an. Doch er verletzte nur meine Haut. Es schwächte mich etwas, aber diese Wunde ist vergessen.« Er stockte kurz bei dieser Lüge, hoffte aber, dass sein Ziehbruder es nicht bemerkte. »Selbst in dieser Situation war sie stark genug, das zu tun!«, fuhr er hastig fort. »Ich warf ihr vor, dass sie sich der letzten Ehre entzöge, die ihr geblieben sei: die Verbrechen ihres Vaters wieder gutzumachen,indem sie ihre Magie in meine und Tarinds Dienste stelle. Doch das wies sie von sich mit der Behauptung, ihr Vater habe Dajaram nicht getötet. Er sei im Kloster des Abends gewesen, als Dajaram starb. Kein Seelenherr würde so etwas über solche Entfernungen hinweg tun können.«
Gomaran wollte ihm ins Wort fallen, doch Telarion sprang auf und hob herrisch eine Hand. Und
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