Dunkelmond
anbrechen.«
»Und es wäre besser, wenn die Menschen es beschleunigten, statt sich zu beugen!«, warf Aedan leise ein.
Githalad ignorierte seine Worte und begann, mit Sinan darüber zu sprechen, wie Stahl am besten gehärtet werden konnte. Aedan schwieg. Doch auch wenn Sinan ihn nicht ansah, spürte er doch genau, wie zornig Aedan war.
Sinan konnte es ihm nachfühlen.
Er wusste Githalads Wunsch, dass jeder Mensch hier im Heerzug überlebte, zu schätzen. Und doch, wie konnten er und seine Gefährten sich einfach in das Schicksal ergeben, das Tarind und sein Bruder den Menschen aufzwangen? Wie konnte Githalad das von den Menschen erwarten, geschweige denn verlangen! Die Elben nahmen sich ohne jeglichen Respekt, was sie wollten, und verlangten von den Menschen Frondienste, als sei ihnen das Sklavendasein in die Wiege gelegt.
Doch Dunkelmagier waren frei. Auch wenn sie vom jüngeren der Zwillingsmonde abstammten, sie waren den Goldmagiern nicht unterlegen. Ys hatte dafür gesorgt, dass ihre und die Gaben des Syth gleichmäßig und gerecht unter den Kindern der Zwillingsmonde aufgeteilt wurden. Die beiden Söhne des Dajaram hatten das vergessen und vernichteten die Kinder des Akusu, wo sie sie fanden.
Sinan wünschte sich plötzlich, er hätte etwas tun können, um die Elben aufzuhalten. Es reichte nicht aus, einen Nachbarsjungen zu retten. Es genügte auch nicht, unbewusst etwas Wärme an eine junge Frau zu geben, die von den Elben immer wieder ihrer magischen Kraft beraubt wurde. Auch ein Feuer war viel zu wenig. Kleinigkeiten reichten nicht aus.
Beinahe wünschte er, er hätte Githalad und Aedan sagen können, dass die Kinder des Siwanon sehr wohl überlebt hatten.
Beide.
Und dass eines dieser Kinder sogar große Macht über die Jenseitigen Nebel besaß und vielleicht sogar das Siegel – wenn es dieses Ding überhaupt gab – finden konnte. Auch wenn nicht er selbst es war, hieß das nicht, dass er untätig bleiben musste.
In den letzten Wochen hatte Sinan diesen Gedanken fast aufgegeben, aber nun fand er ihn wieder verführerisch: der Name Amadian, reingewaschen vom Verrat seines Vaters, der während Tarinds Massaker im Kloster des Westens nur dagestanden hatte, ohne etwas zu tun.
Vielleicht hatte nicht nur Aedan recht, sondern auch Githalad. Die Kinder des Siwanon lebten noch. Und sie konnten die Augen vor dem Unrecht nicht verschließen.
Und auch wenn sie bisher nichts getan hatten, vielleicht ließ sich das ändern. Zumindest für sich konnte er sprechen.
Schon das bloße Nachdenken darüber spendete Sinan Trost.
Kapitel 2
»Und Akusu vermachte seinen Kindern, den Menschen, die Herrschaft über den Tod, über die Hitze des Sommers und den Herbst, in dem die Natur stirbt, über den Mittag und den Abend, den Süden und den Westen. Ihnen gehört das Feuer, das einst von Syth kam. Ihnen ist auch die Kunst gegeben, Metalle zu schmieden und die Schätze der Erde zu formen. Und weil Vanar seinen Kindern bereits die Gabe des Lebens vermacht hatte, verliehen Syth und sein Sohn Akusu den Menschen die Gabe, die Seelen selbst zu beherrschen. Auch die der Toten, sodass die Menschen seither von ihren Brüdern, den Elben, auch die Herren des Todes geheißen werden.«
Von der Schöpfung der Welt
Erste Rolle der Schriften des Klosters der Weisen Zwölf
S anara blieb zwischen den dahinhastenden Menschen in einem Streifen Sonnenlicht stehen und blickte zum türkisfarbenen Himmel hinauf, der zwischen den eng zusammenstehenden Dächern von Bandothi zu erkennen war. Die beiden Sonnen brannten unbarmherzig in die engen Gassen hinab; auch die großen Sonnensegel, die zwischen den Zinnen und Balustraden der Dachterrassen aufgespannt waren, änderten nichts an den brütend heißen Temperaturen in den Straßen.
Schon seit Wochen war das so. Keine Regenwolke störte das blasse Blaugrün des Himmels, kein Lüftchen strich kühlend über die Hauptstadt. Die Bauern klagten, dass der Lithon in diesem Frühjahr trocken sei wie die Wüste von Solife. Das Gemüse wurde knapp, und heute würde Sanara ihrer Wirtin nur wenig Wechselgeld vom Einkauf zurückbringen können. Sie sah auf ihren Korbhinab. Schon jetzt sah das Laub der Feuerrüben nicht mehr frisch aus. Der Winter war hart und lang gewesen, doch statt dem Land nun die feuchte und laue Frühlingswärme zu schenken, strich seit einigen Zehntagen der heiße Atem der südlichen Steppen von Guzar und Solife durch das Tal des Lithon und staute sich im Talkessel von
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