Dunkelmond
nicht festsitzen wollen, und so hatte Telarion seine Männer angewiesen, den Lithon mit Hilfe von Flößen zu überqueren, mit denen eine Behelfsbrücke geschaffen wurde.
Das Hochwasser hatte abgenommen, dennoch war der Flussnoch reißend genug gewesen und hatte nicht nur viel Kraft, sondern Opfer gekostet.
Am Rand der Lichtung, wo das Heer seit gestern am Ufer eines Waldsees rastete, war niemand zu sehen. Die Zelte der elbischen Soldaten lagen halb zwischen den gewaltigen Yondar- und Qentarbäumen verborgen, deren Stämme so dick waren, dass ein Dutzend Mann sie nicht umfassen konnte.
Auf der Lichtung selbst, die zum See hin offen war, lag ein einzelner, riesenhafter Stein, der den ganzen Tag von der Sonne beschienen wurde. Gras, Blumen und Kräuter wuchsen beinahe hüfthoch um den Fels herum. Nur der Schmied, den Telarion Norandar damit beauftragt hatte, ihm ein neues Schwert zu fertigen, hatte dort etwas zu schaffen. Er war aber nur halb zu sehen, denn er baute neben dem Stein einen Ofen.
Telarion sah nachdenklich zu ihm hinüber und versuchte, sein Misstrauen dem Dunkelmagier gegenüber im Zaum zu halten. Dem Mann schien die sengende Hitze beider im Zenit stehender Sonnen nichts auszumachen. Er hantierte geübt mit Spaten, Steinbrocken und Lehm; schon zuvor hatte er in der Uferregion des Sees Torf gesammelt, mit dem er den Ofen befeuern wollte.
Erneut fragte sich der Heermeister, ob es eine kluge Entscheidung gewesen war, ausgerechnet diesen aufsässigen Schmied damit zu beauftragen, ihm eine neue Waffe herzustellen. Vielleicht hätte er warten sollen, bis er wieder in der Hauptstadt war.
Immerhin hatte er nicht das Gefühl, dass der Schmied ihn hintergehen wollte. Er schien die Aufgabe, die Telarion ihm gestellt hatte, gewissenhaft zu erledigen.
Als die Klänge eines Liedes und dazu vereinzeltes melodisches Lachen an sein Ohr drangen, beschirmte Telarion seine Augen mit der Hand gegen das grelle Licht der beiden Sonnen und entdeckte, dass ein Mann, den er bislang nicht bemerkt hatte, mit überkreuzten Beinen auf dem Stein neben dem Schmied saß und sich mit ihm unterhielt. Er hatte einen halbrunden Gegenstand auf dem Schoß liegen und zupfte daran.
Es war der Musikant, der mit den Menschen gekommen war. Er war sowohl in der menschlichen Kunst der Musik als auch in den schier endlosen Wortballaden der Elben bewandert und hatte Telarions Bruder Tarind schon mehr als einmal die Heldenepen vorgetragen, die von den Siegen der Elben in den ersten Kriegen mit den Menschen erzählten. Selbst Telarion, der die Musik genauso verachtete wie jede andere der dunklen Magien, hatte die Geschichten von einst und die klangvolle Stimme des Spielmanns bei seinem Vortrag genossen.
Doch die Frage, was der Musikant wohl mit dem Schmied zu besprechen hatte, musste warten. Die Nachrichten, die der Bote aus der Hauptstadt gebracht hatte, klangen bedrohlicher, als Telarion erwartet hatte. Er sah noch einmal auf die Pergamentrolle hinab, die er in der Hand hielt. Der König musste von dieser Botschaft erfahren. Sie war direkt an ihn gerichtet, doch weil Tarind befohlen hatte, ihn nicht vor dem Untergang der Weißen Sonne zu stören, hatte sich der Bote an den Heermeister gewandt.
Es war zu still, auch wenn Ruhe um diese Tageszeit innerhalb des Heerlagers und vor allem rund um das Zelt des Königs nichts Ungewöhnliches war. So, wie es in den Prärien von Erathi wochenlang geregnet hatte, brannten nun sowohl die Rote als auch die Weiße Sonne tagtäglich auf den Wald von Dasthuku herab, und die Elben zogen sich nach dem Aufgang der Roten Sonne bis zu ihrem Untergang in ihre Zelte zurück. Nur wenige Soldaten waren dazu eingeteilt, auf dem Posten zu bleiben, doch die Männer hatten sich – wenn auch gut sichtbar – in die Schatten der riesenhaften Qentarbäume zurückgezogen und vertrieben sich die Zeit mit Würfelspiel.
Die Luft stand. Telarion war als Windmagier in der Lage, auch den kleinsten Hauch zu spüren, und hier am Rand der Lichtung, die sich am Ufer des Waldsees befand, hätte es einen beständigen Luftzug geben sollen, der aus den kühlen Süßholz- und Resatgebüschen, die um die gewaltigen Qentar- und die etwas kleineren Yondarbäume heraus auf die sonnendurchglühte Lichtung wehte.
Der fehlte völlig. Es war schwül, doch am Himmel standen keine Wolken, die ein Gewitter ankündigten. Telarion wurde unruhig. Sogar die Tiere des Waldes schienen sich verkrochen zu haben. Normalerweise zog an den Rändern von
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