Dunkelmond
Die Angst, die Faust des Königs könnte ihn fortstoßen, wie sie es am Abend zuvor bei Berennis getan hatte. Die Angst, der Wille Tarind Norandars könnte trotz aller Bemühungen Sinans die anderen Gefangenen auch für eine Arbeit strafen, die er sauber ausgeführt hatte.
Sinan schloss die Augen und versuchte ruhig zu atmen, damit die Panik in ihm nicht noch weiter wuchs. Er konzentrierte sich auf den glühenden Vulkan in seinem Inneren, der Erd- und Feuermagie so miteinander verschmolz, wie er es gelernt hatte. Seine innere Kraft, die Magie, die sein Selbst ausmachte, begann langsam in seinen Arm und in das Werkzeug zu fließen. Sinan wusstenicht, ob Außenstehende sehen konnten, dass die Magie den Stichel in seiner Hand nun in einem warmen Orangerot umfloss.
Sinan spürte die Reaktion des Panzers. Das Werkstück war durch die Wärme der Esse erwacht. Für Sinan atmete es nun, war lebendig und schien in der Erwartung der Magie, die es empfangen und aufnehmen sollte, zu erzittern. Er ließ den Stift langsam über die warme Oberfläche des Metalls gleiten und sah, dass nicht nur das spitze Ende des Werkzeugs, sondern auch seine Kraft die feinen Zeichen in das fügsame Metall gruben und es mit Schutzzaubern gegen Erde und Feuer tränkten wie Flüssigkeit ein Tuch.
Endlich vergaß Sinan, dass die fremden Magien des Goldenen Mondes ihm so nah waren und ihn bedrohten. Er versank in seiner Arbeit und hörte nicht, wie er die uralten Melodien sang, die schon Meister Vakaran gesungen hatte, wenn er seiner Arbeit nachging.
Dann zerriss ein Schrei seinen Verstand, ein Schrei, der von Todesangst sprach und der ebenso abrupt abbrach wie der Zauber, den er gewirkt hatte. Dann spürte er, wie das Hemd an seinem Rücken von einer klebrigen, zähen Flüssigkeit durchnässt wurde. In den aschig-öligen Rauch, der die Schmiede erfüllte, mischte sich der scharfe Geruch von Kupfer.
Blut.
Der schwere Atem des Königs war hinter ihm zu hören. Feuchte Kälte auf Sinans Haut entstand neben der trockenen Hitze des Feuers, dort, wo Tarind wohl an der Esse stand.
Wieder erklang ein Schrei. Doch dieser war wütend und deutete darauf hin, dass die Wunde, die ihn verursacht hatte, nicht nur wehtat, sondern den Verwundeten in Rage versetzte.
Atemlos wartete Sinan auf die Pein, die eine Rückenwunde, die so viel Blut verursachte, wie er dort spürte, mit sich brachte. Doch es kam kein Schmerz. Verwirrt wandte er sich um und erstarrte.
Tarind stand mit erhobenem daikon vor der Esse. Das weiße Hemd, das er trug, war dunkel von Blut, selbst auf seinem Gesichtwaren dicke, rote Spritzer zu sehen. Entsetzt folgte Sinan dem Blick des Elben und erkannte, dass dieser vor einem kopflosen Körper stand, der vor der gemauerten Esse in sich zusammengesunken war. Blut sprudelte noch aus dem Halsstumpf. Der Kopf selbst war in das Essenfeuer gefallen.
Hedruf.
»Ich hätte wissen müssen, dass ihr, du und dein Spießgeselle, alles versuchen würdet, um mich auszuschalten!«, presste der Elb hervor. »Du bist genau, was ich vermutete: nichts weiter als ein Spion, der vom Zaranthen, diesem Diener der Zerstörung, ausgeschickt wurde!« Tarind holte erneut mit dem Schwert aus, doch dann ließ er es mit einem schmerzerfüllten Stöhnen wieder sinken und ging in die Knie.
Mit einem Satz waren der Heermeister und Iram Landarias bei ihm.
Sinan war nicht in der Lage, zu reagieren. Er starrte abwechselnd auf seinen toten Gehilfen und auf den König, der nun am Boden kniete und in seiner Hand wilden Schmerz zu spüren schien.
»Er hat sich die Hand verbrannt«, hörte Sinan den Fürsten Landarias sagen.
»Dieser verdammte Dunkelmagier hat den Blasebalg genau in dem Moment betätigt, als ich an ihm vorbeiging!«, rief Tarind. »Er hat den Tod verdient!«
Der Geruch nach verbranntem Haar und Fleisch breitete sich in der Werkstatt aus. Ohne nachzudenken, beförderte Sinan mit der Zange, die zuvor die Brünne des Königs gehalten hatte, den Kopf aus den Flammen. Doch der Geruch ließ nicht nach. Hedrufs Gesicht war kaum noch vorhanden, so verbrannt war es mittlerweile, dennoch war zu erkennen, was für einen Schrecken der Tod für ihn bedeutet hatte. Sinan wurde so übel, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Er ließ Hedrufs blutigen Kopf fallen, sank auf die Knie und übergab sich.
Sein Kopf dröhnte. Tränen liefen ihm über die Wangen. Doch er spürte sie ebenso wenig wie das unkontrollierte Zittern, das seinen Körper befallen hatte. Die
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