Dunkelmond
Fürst habe Dajarams Seele verbrannt.«
»Ja. Dajaram glaubte, die Macht des Lebens sei stärker. Das war falsch. Doch nun gibt es niemanden mehr, der stark genug wäre, das Siegel in diese Welt zu bringen.«
Unter der Kapuze begannen die Augen des Besuchers nun zu funkeln. »Vielleicht doch. Siwanon Amadian hatte Kinder.«
Ungeduldig winkte der Priester ab. Seine seidenen Gewänder raschelten. »Tarind Norandar war zu rachsüchtig. In seinem Hass auf die Dunkle Magie tötete er im Kloster des Westens alle, die dort bei Siwanon waren, statt sich zu vergewissern, ob noch andere mit jener Gabe dort seien, mit der Akusu den Fürsten so reich bedachte.«
»Immerhin glaubte er, dem Leben zu dienen!«
Der Priester fuhr herum. »Gerade du solltest nicht die engstirnige Ansicht der Kinder Vanars übernehmen! Du solltest es besser wissen. Den Seelen auf den Jenseitigen Ebenen zu befehlen ist nicht die Gabe des Todes.«
»Für Elben ist sie es«, widersprach der Gast. »Aber ich bin nicht hier, um Dinge zu diskutieren, auf die selbst die Weisen keine eindeutige Antwort haben.«
Der Priester lachte spöttisch. »Sondern um mir zu sagen, dass eines der Kinder des Siwanon lebt? Und wenn es so wäre? Wer sagt, dass er seine Gabe weitervererbt hat?«
»Ich glaube wirklich, dass ich einen Nachfahren des Siwanongefunden habe. Man erzählt sich, dass eines der Kinder an diesem Tag die Weihe erhielt. Tarind ist ein Krieger. Was, wenn ihn das Töten blind machte und es Überlebende gab?«
Der Priester schwieg und betrachtete das Muster, das die silbrigen Strahlen der Ys auf den Marmorboden malten. Verzerrt war die Gestalt der Ys zu erkennen, die Syth hinterhersah, der sich in den Nebeln der jenseitigen Leere auflöste. Es hieß, dass auch Ys sich danach aus Trauer über den Verlust des Geliebten aus der Welt zurückgezogen habe.
Der Priester erwog die Möglichkeiten, die mit den Neuigkeiten einhergingen, von denen sein Gast ihm berichtet hatte.
»Wir brauchen das Siegel«, sagte der Gast schließlich, während der Silberne Mond sich weiter den Gipfeln der Loranonberge näherte. »Es muss zerstört werden, damit Syth wieder auf die Erde zurückkehren kann. Der Weg ist bereitet. Doch wir müssen ihn auch beschreiten.«
»Das ist wahr«, sagte der Priester schließlich und hob den Saum seiner Robe, um ihn über den Unterarm zu schlingen. »Finde also heraus, welche Kräfte dieser Nachkomme des Siwanon hat – wenn er es ist.«
»Ich bin sicher«, erwiderte der Gast. Er erhob sich, doch er hielt weiterhin die Arme ausgebreitet. »Bitte, Ältester. Gebt mir zum Abschied den Segen, der meine Kraft stärkt.«
Der Priester runzelte die Stirn.
»Bitte«, wiederholte der Gast. »Wenn ich mit einem Sprössling des Siwanon zu tun bekomme, der den Seelen der Dahingegangenen befehlen kann, brauche ich Stärke.«
Zögernd nickte der Priester. »Knie nieder.«
Er wandte sich um und sah nicht zu, wie der Gast den Befehl befolgte. Er ging selbst vor dem Torus aus Stein in die Knie, der in sich selbst verschlungen war und kein Ende und keinen Anfang hatte, und begann, Worte zu singen, die um den Segen des Schöpfergeistes baten. Ein paar Herzschläge später glaubte der Gast, der Torus schimmere in einem violetten Licht. Nebelschwaden löstensich vom Porphyr und schwebten zu dem Priester, dessen Stimme auf eine Weise hallte, die nichts mit der Konstruktion des Tempelraums zu tun hatte.
Einige der Schwaden erreichten nun den Priester, der die Hände mit den Handflächen nach oben ausstreckte und die Gabe empfing, die der Syth ihm geschickt hatte.
»Die Kraft dessen, der Dinge ändern und Neues schaffen kann, sei nun mit dir«, murmelte der Priester. Er strich dem Jünger des Syth den hauchartigen Rauch über Stirn und Kehle.
Der Jünger schauderte und hielt die Augen geschlossen.
»Ich danke dem Schöpfer des Chaos« murmelte er und erhob sich.
Er verneigte sich ein letztes Mal vor dem Torus auf dem Altar, der nun wieder aussah wie ein einfaches, wenn auch kunstvoll behauenes Stück violetter Marmor.
Dann nickte er dem Priester zu, der sich ebenfalls erhoben hatte. »Ich danke auch dir.«
Der Priester schlug noch einmal das Zeichen des Syth und drehte sich zum Altar um.
Der Jünger verschwand durch die Halle und den Garten in der Dunkelheit der späten Nacht.
»Mein Fürst?«
Ein Hitzeschwall schien in Telarions Brust hochzukochen, als er die Worte hörte. Er hielt die Augen geschlossen und antwortete nicht, sondern
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