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Dunkelziffer

Dunkelziffer

Titel: Dunkelziffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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schwieg er fast eine Minute lang.
    Eine Minute, die ihm Sara Svenhagen nur schwer verzeihen konnte. Er hätte wirklich den Lautsprecher des Handys einschalten können.
    Stattdessen legte er ohne ein Wort auf.
    »Na... ?«, sagte Sara und sah ihn an.
    Sie saßen in dem verlassenen Ferienhof und fühlten sich selbst ein wenig verlassen. Der Lärm der Schulkinder war einem Schweigen gewichen, das beinahe noch mehr lärmte. Ein schwaches Pfeifen war jetzt deutlich zu hören, es war Wind, der unablässig durch die Ecken und Winkel des alten Hauses strich.
    Gunnar Nyberg schwieg wieder eine Weile. Dann sagte er: »Der Vergewaltiger hat fünf Finger.«
    »Kein besonderes Kennzeichen«, sagte Sara Svenhagen finster.
    »Der Vergewaltiger von 1989, also«, sagte Gunnar Nyberg. »Jetzt ist er kein Vergewaltiger mehr. Jetzt hat er vier Finger. An der linken Hand. Und außerdem ist er vorgestern hier gewesen. Er hat vormittags gegen elf Uhr Elvira Blom im Pflegeheim Stjälken bei Sollefteä besucht.«
    »Warte«, sagte Sara und hielt die Hand in die Höhe. »Was sagst du da? Dass es nicht Sten Larsson war, der Emilys Mutter und ihre Freundin vergewaltigt hat?«
    »Elvira Blom zufolge nicht.«
    »Aber Elvira Blom ist doch, ja, plemplem... ?«
    »Lena hatte den Eindruck, dass sie es in diesem Fall nicht war.«
    »Und das Personal?«
    »Sie bestätigen, dass Elvira manchmal Besuch von einem Mann bekommt. Unter anderem haben sie gerade bestätigt, dass er, zwei Stunden bevor Emily in den Wald ging, im Pflegeheim gewesen ist. Lena ist gerade dabei, eine Personenbeschreibung zusammenzustellen. Danach nimmt sie Elvira Blom und eine Frau, die sie als Butch-Schwester bezeichnet, mit zur Polizeiwache von Sollefteä. Alf Bengtsson hat da einen Künstler aus dem Ort, der als Polizeizeichner agiert.«
    »Und die provisorische Beschreibung?«
    »Lena sagt, er erinnert an mich«, sagte Gunnar. »Aber mit vier Fingern an der linken Hand.«
    »Also groß?«
    »Und fleischig, Lena zufolge. Bin ich fleischig? Was zum Teufel heißt fleischig?«
    »Ich verstehe, was sie meint...«
    »Und nicht nur fleischig, sondern auch beefig. Fleischig, beefig und ziemlich rot im Gesicht. Aber ich bin doch nicht rot im Gesicht?«
    »Hin und wieder...«, sagte Sara vorsichtig, aber ihr Gedanke war anderswo unterwegs. Sie wusste nicht recht, wo, aber der Gedanke ging zum Wald. Dem ewigen Wald.
    Gunnar sagte: »Als Lena ihren Ausweis zeigte, hat diese Butch-Schwester in ihrer Brieftasche ein Foto von mir gesehen und gesagt, dass es ziemlich ähnlich ist. Warum hat Lena ein Foto von mir in der Brieftasche?«
    Sara Svenhagen antwortete nicht. Sie war nicht da. Sie war irgendwo zwischen den Baumwipfeln auf der Flucht und rannte durch das Waldstück zwischen Gammgarden und dem Ängermanälv. Ihr Gedanke suchte etwas. Ein Glied. Ein fehlendes Glied. Ein materialisiertes Versäumnis.
    »Hallo«, sagte Gunnar. »Halli-hallo.«
    Es war seltsam, sich über dem Wald und doch in ihm zu befinden. Sara flog in Höhe der Baumwipfel, und von allen Seiten sickerte ein grünliches Licht herein. Wie eine Reihe von Lichtbrettern, die sich überlappten, massive Dinger aus grünem Licht, die sich kreuzten und ineinander übergingen, ein magisches Netzwerk materialisierten Lichts. Und plötzlich gab es schwarze Flecken in diesem Lichtnetzwerk, wie eine Reihe von Kommazeichen. Erst kamen sie in einer geraden Kolonne, die sich vergrößerte, dann lösten sie sich in einer eher chaotischen Ansammlung vermischter Trennzeichen auf.
    »Mist, verfluchter«, sagte Sara und lehnte sich über den Tisch im verlassenen Speisesaal des alten Hofs. Sie zog den dicken Stapel automatisch aufgezeichneter Zeugenaussagen zu sich heran und begann, wild zu blättern.
    »Was tust du?«, sagte Gunnar Nyberg, ohne eine Antwort zu erwarten.
    Aber er bekam doch eine: »Versäumnisse«, sagte Sara mit seltsamer Stimme.
    »Verdummnisse«, sagte Gunnar resigniert.
    Dann riss Sara ein Blatt aus dem Stapel und las vor: »>Manchmal sah ich ein paar von den Jungs zwischen den Bäumen. Alle brüllten: >Emily<, so laut sie konnten mit ihren krächzenden Stimmbruchstimmen. Wer sie genau waren, weiß ich nicht, aber auf einer Lichtung sah ich einen von ihnen - den großen, diesen Wichtigtuer, ich glaube, Jesper heißt er -, wie er etwas in die Höhe hielt. Ich dachte, dass ich mich damit nicht befassen müsste, also ging ich schnell zur anderen Seite hinüber und stieß auf den Pfad. Da kam ich mir vor, als wäre ich allein

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