Dunkelziffer
Moment an dachte er umso mehr darüber nach. Jeans nahmen einen beinahe symbolischen Charakter an. Sie wurden ein Zeichen für sein Unvermögen, sich selbst von außen zu sehen. Ein Zeichen seiner Egozentrik.
»Solipsismus«, sagte Arto Söderstedt eines Tages in der Kantine des Polizeipräsidiums, als sie einander gegenübersaßen und Äkesson auf die Idee kam, der sonderbare Finnenschrat könnte die richtige Person für eine Beichte sein. Ein Mann bar aller Vorurteile.
»Was?«, fragte Äkesson .
»Solipsismus«, wiederholte Söderstedt. »Wenn ich meine Augen schließe, hört die Welt auf zu existieren. Ich würde tippen, dass es sich um die allergewöhnlichste existenzielle Fehlerquelle unserer Zeit handelt.«
Und Äkesson konnte ihm nur beipflichten. Die Welt hatte ihren Ausgangspunkt in ihm. Sie existierte nur, wenn sie durch seine eigene Wahrnehmung gefiltert wurde.
Es war eine durchgreifende Erfahrung. Er hatte das Gefühl, ein anderer zu werden.
Er sah sich selbst plötzlich als einen Menschen unter vielen. Er war in der Lage, sich Bengt Äkesson in den Augen anderer vorzustellen. Und die Welt kam ihm plötzlich reicher vor. Gefährlicher, unsicherer, aber reicher.
Verflixte Kerstin, dachte er und zog das Handy aus der Tasche seiner Jeans. Er meinte, es habe geklingelt. Hatte es nicht. Dagegen sprang die Zeitangabe auf dem Display gerade auf 17.08 um.
Das Wort >sexy< ist ein tückisches Wort. In der Regel vermied er es. Aber jetzt konnte er nicht anders.
Er beobachtete die sexy aussehende Frau auf der anderen Seite seines Schreibtischs, überlegte einen Augenblick, was sie vor sich sah - hoffentlich einen gut erhaltenen, jeansbekleideten Fünfundvierzigjährigen mit blondem ergrauenden Haar und einem scharfen blauen Blick -, und sagte: »Ist Ihnen klar, Maja, auf was für Bergen mit Verschwund enen akten wir sitzen?«
»Ich heiße nicht Maja«, sagte die Frau mit dunkler, fast singender Stimme. »Ich heiße Marja, Marja Willner.«
Soulstimme, dachte Bengt Äkesson und sagte: »Entschuldigen Sie, Marja. Also Ihr Mann Stefan Willner ist gestern Nachmittag verschwunden? Sonntag, um wie viel... ?«
»Um vier Uhr am Nachmittag.«
Sie war so dunkel, dass vermutlich irgendwo in ihren Adern afrikanisches Blut floss; er versuchte sich vorzustellen, wie es dorthin gekommen war. Sie trug ein leichtes Sommerkleid, das nicht viel der Phantasie überließ, aber das, was es ihr überließ, war mehr als genug.
Wie lästig, dachte er plötzlich, so offensichtlich sexy zu sein. Wie anders das Leben sein muss. Statt der üblichen Schwierigkeiten bei der Partnersuche ganz andere Probleme. Dauernd von potenziellen Partnern belagert zu sein. Musste man nicht zynisch werden? Musste man nicht irgendwann dem gesamten männlichen Geschlecht misstrauisch gegenüberstehen?
»Sie haben sich nicht vielleicht gestritten?«, fragte er.
Es war schon nach fünf, und theoretisch hatte er Feierabend. Kein Grund für übertriebene Feinarbeit.
Marja Willner beobachtete ihn finster. Er versuchte, eine Schublade für sie zu finden. Schubladen erleichtern die Beurteilung von Menschen, Aber er hatte auch - verflixte Kerstin - begriffen, dass Schubladen nicht ausreichten. Trotzdem, sie blieben ein Hilfsmittel.
Elegant war sie nicht, eher roh sexy, ohne Umschweife und Getue. Einigermaßen gut gestellte Arbeiterklasse. Keine abgeschlossene Ausbildung.
»Doch«, sagte Marja Willner nach einer Weile.
»Doch?«, sagte Bengt Äkesson.
»Steffe ist sehr eifersüchtig«, sagte sie.
Äkesson nickte. »Ein erwachsener Mann, der nach einem Streit das Haus verlässt und einen Tag fortbleibt, hat bei uns nicht unbedingt oberste Priorität. Ich nehme an, das verstehen Sie.«
»Es war nicht wie sonst«, sagte Marja, den Blick auf die Tischplatte gesenkt.
Äkesson dachte an Machtpositionen, an männliche Überlegenheitspositionen - verflixte Kerstin - und versuchte, es nicht zu tun. Es war beängstigend leicht, sich an Marja Willner stellvertretend für die gesamte Weiblichkeit zu rächen. Und vielleicht hätte er das vor ein paar Wochen wirklich getan - so gedemütigt, wie er sich durch Vickans ständige Untreue gefühlt hatte. Und Steffes Eifersucht war sicher nicht unbegründet - sieh dir doch nur das Kleid an, all die solariumgebräunte nackte Haut.
Aber etwas hielt ihn davon ab.
Verflixte Kerstin.
»Also erzählen Sie von Anfang an«, sagte er und lehnte sich zurück.
Marja Willner strich sich über ihre schöne gerade Nase und
Weitere Kostenlose Bücher