Dunkelziffer
sagte: »Ja, er ist früher schon abgehauen. Er war auch mal länger als einen Tag fort. Aber nie von der Arbeit. Und diesmal war es anders. Erstens war alles viel schlimmer als sonst - seine Eifersucht war stärker, als ich es mir hätte vorstellen können. Es war ein fürchterliches Wochenende, die Hölle. Er wollte mich um jeden Preis zu einem Geständnis bringen. Es war, als stünde er vor einem entscheidenden Entschluss.«
»Schlägt er sie?«
»Nein, nie.«
»War seine Eifersucht begründet?« »Was hat denn das damit zu tun?«
»Ich benötige ein möglichst umfassendes Bild. Es wäre von Vorteil, wenn Sie so aufrichtig wären, wie Sie können.«
Marjas Blick flackerte. »Ich war ihm einmal am Anfang unserer Beziehung untreu«, sagte sie. »Vor vier Jahren. Es passierte einfach, bedeutete nichts. Seitdem ist es nicht wieder vorgekommen. Aber er ist nie damit fertig geworden.«
»Ihre Schönheit ist vermutlich eine Bedrohung«, sagte Bengt Äkesson und fragte sich im selben Moment, woher das kam.
Sie begegnete seinem Blick. Eine dunkelbraune Klarheit schlug ihm entgegen. »Manchmal wäre ich sie am liebsten los«, sagte sie leise.
»Aber Sie kleiden sich ziemlich aufreizend«, sagte er und fragte sich, ob er auf dem richtigen Weg war.
»Ich darf ja wohl gut aussehen«, sagte sie. »Für mich selbst. Männer sind so egozentrisch. Sie glauben, dass eine Frau nur an sie denkt, wenn sie sich hübsch macht. Und wenn sie davon nichts abbekommen, nennen sie es aufreizend.«
Du hast recht, dachte Äkesson. Das Wort >aufreizend< hat wirklich einen ganzen Berg von Vorurteilen auf dem Buckel. »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er aufrichtig. »Wir fangen noch mal von vorn an. Erzählen Sie bitte zunächst, wie Sie so leben. Ganz allgemein.«
»Wir wohnen in Ärsta. Steffe ist fünfunddreißig und arbeitet als Elektriker bei einer Firma, die sich auf unterirdische Elektrizität spezialisiert hat. Leitungen unter der Erde, meistens in der Stadt. Ich bin zweiunddreißig und arbeite als Friseurin in der Stockholmer City. Wir wollen seit drei Jahren Kinder, aber es klappt nicht. Es hat irgendetwas mit seinen Spermien zu tun. Sonst sind wir ein ganz normales Paar mit ziemlich vielen Freunden. Was uns voneinander unterscheidet, ist seine Eifersucht. Wir haben vor Kurzem mit Golf angefangen. Was kann ich noch sagen? Er gräbt zurzeit in Gamla Stan, wechselt Stromleitungen in einer der Nygator dort aus.«
»Und zweitens?«
»Zweitens war es das, was Steffe sagte. Oder schrie. Als er abhaute.«
»Das, was Sie dazu veranlasst hat, ihn als verschwunden zu melden?« Marja Willner nickte, holte tief Luft und sagte: »>Jetzt ändere ich verflucht noch mal die ganze Geschichte. Du wirst schon sehen, du Sau. Und das wird niemand ignorieren.<«
Einige Minuten später war sie fort. Äkesson saß noch auf seinem Stuhl. Er schrieb die grundlegenden Fakten mit der Hand in das provisorische Protokoll und las es noch einmal durch.
Er sog die Luft tief durch die Nase ein - doch auch ihr Duft war gut.
Was machen wir mit unserem Begehren?, dachte er. Wie schaffen wir es, einander als ebenbürtige Individuen zu begegnen, wenn das Begehren ständig vorhanden ist?
Er blickte auf die letzten Zeilen, die er geschrieben hatte. Er würde es morgen abtippen. Heute nicht mehr. Es war schon halb sechs.
Er las: >Jetzt ändere ich verflucht noch mal die ganze Geschichte. Du wirst schon sehen, du Sau. Und das wird niemand ignorieren.<
Größen Wahnsinn? Oder Terrorakt?
Gab es eine reale Gefahr, dass der eifersüchtige Elektriker Stefan Willner aus Ärsta einen Terrorakt großen Stils plante? Kaum. Äkesson tippte den Namen in den Computer ein. Es gab keinen Stefan Willner im Straftäterregister.
Äkesson schrieb den Bericht zu Ende, klappte die braune Mappe zu, ging zum Regal und blieb vor einem Stapel gleichartiger Mappen stehen. Dem Stapel mit verschwundenen Personen.
Er schob Stefan Willners Mappe in die untere Hälfte.
Aller Voraussicht nach würde Stefan schon morgen wieder angekrochen kommen und in seiner Eifersuchtshölle weiterleben.
Sein Handy klingelte. Er verblüffte sich selbst mit ein paar tänzelnden Laufschritten zum Schreibtisch.
»Hej, hier ist Kerstin«, sagte das Handy ein wenig zitterig.
»Ich habe es fast geahnt«, sagte Bengt Äkesson nicht weniger zitterig.
7
Als Jorge Chavez den Computer in Empfang nahm, war er von oben bis unten mit Babynahrung bekleckert. Kerstin Holm hatte noch nie einen derart
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