Dunkelziffer
ich habe eine eigene Hardware entwickelt«, sagte Jerker Ollen, ohne von Saras Einwurf Notiz zu nehmen, »die sehr viel auf mikroskopischem Weg rekonstruieren kann. Ich habe gerade eine Aktiengesellschaft gegründet, um die Weiterentwicklung voranzutreiben.«
Er zeigte auf ein kompliziertes Gerät, das stark an ein altmodisches Elektronenmikroskop erinnerte. Es gab ein schwaches, aber vernehmbares Brummen von sich.
»Und kommst du voran?«, fragte Sara.
»Es lässt sich gut an«, sagte Ollen stolz. »Aber es ist klar, dass Genauigkeit das A und O im digitalen wie im analogen Prozess ist. Der Zeitfaktor ist ein Minus im Rekonstruktionsprozess. Das Ausfüllen von Lakunen dauert seine Zeit.«
»Also noch keine Daten?«, konstatierte Sara.
»Nein«, sagte Ollen und lächelte sie erfinderstolz an.
Sie ließ ihn allein.
Es hätte natürlich unmöglich sein sollen, sich in der Polizeiwache von Sollefteä zu verirren, aber Sara schaffte es. Sie irrte zehn Minuten umher, bis sie den Weg zu der provisorischen Abteilung für Untersuchungshäftlinge fand.
Im Gemeinschaftsraum, in dem sie am Mittag gegessen hatten, saß jetzt der ehemalige Kinderarzt und Kinderpsychiater Carl-Olof Strandberg mit einer frischen Kopfbandage und sah verbiestert aus. Ihm gegenüber saßen Lena Lindberg, Gunnar Nyberg und Alf Bengtsson und sahen mindestens ebenso verbiestert aus, möglicherweise mit Ausnahme von Bengtsson, weil ein Hahnenkamm der Verbiesterung entgegenwirkt.
Sara Svenhagen betrat den provisorischen Vernehmungsraum und wurde gemustert. »Lasst euch nicht stören«, sagte sie nur und sank auf einen Stuhl.
Aber Carl-Olof Strandberg ließ sich stören, Er ließ sich sogar in einem solchen Maß stören, dass er sagte: »Neue Foltermethoden, wie ich sehe, Fräulein Svenhagen. Das Opfer kann zu jeder Tages- und Nachtzeit geweckt und den rechtswidrigsten Verhören ausgesetzt werden, vor allem wenn sein Anwalt abwesend ist.«
»Das ist kein Verhör«, sagte Sara. »Wir haben nur ein paar Fragen.«
»Wie die Folterer mit ihren Samtstimmen sagten, bevor sie die Nadeln unter die Nägel stachen.«
»Hör schon auf«, sagte Gunnar Nyberg.
»Du, du hast überhaupt nicht das Recht, etwas zu sagen, du Verrückter. Du hast nicht das geringste Recht, auch nur in meine Nähe zu kommen.«
»Sten Larsson ist tot«, sagte Nyberg neutral. »Wir haben gerade seine Leiche ausgegraben.«
Auf Carl-Olof Strandbergs gleichgültiges Gesicht trat ein neuer Ausdruck. Ein Zucken lief durch die fein verzweigte Muskulatur, und ein Ton, der einem Schluchzen glich, war zu hören. Es war kein gewöhnliches Schluchzen, es kam gleichsam aus einer größeren Tiefe seines Inneren. Aus der dunkelsten Tiefe der dunklen Seele.
Oder so, dachte Sara Svenhagen und sagte: »Er war Ihr Freund. Es fragt sich, ob Sie jemals einen besseren Freund hatten. Sie haben Ihr ganzes Leben als asozialer Pädophiler gelebt, immer in Ihrer eigenen Blase, in die Sie niemand hineinzulassen wagten oder hineinlassen konnten. Aber dann, im Herbst Ihrer Tage, fanden Sie zu Ihrer Überraschung einen wahren Freund, den Bauerntölpel Sten Larsson. Sie taten Dinge zusammen - zum ersten Mal in Ihrem Leben hatten Sie jemanden, mit dem Sie tatsächlich Dinge tun konnten. Sie sind es ihm schuldig, uns bei der Suche nach seinem Mörder zu helfen.«
Strandberg sah auf einmal sehr alt aus, und seine Stimme war dünn, als er sagte: »Mörder?«
»Ihm ist die Kehle durchgeschnitten worden«, sagte Gunnar Nyberg. »Gründlich durchgeschnitten. Sagt Ihnen das etwas?«
Carl-Olof Strandberg zwinkerte mehrmals. Dann schüttelte er den Kopf. »Klaviersaite?«, sagte er schwach.
»Denkbar«, sagte Sara Svenhagen, der das Herz bis zum Halse schlug.
»Nein«, sagte Strandberg und schnitt eine Grimasse, »das sagt mir nichts.«
»Wir sind eigentlich hergekommen, um Sie nach Sten Larssons Tochter zu fragen. Aber vielleicht haben sich die Dinge jetzt ein wenig geändert.«
»Nach seiner Tochter?«, sagte Strandberg. »Er hatte keine Tochter. Das hätte ich gewusst.«
»Was wissen Sie denn über die Vergewaltigung im Sommer 1989? Damals wurde ein Kind gezeugt.«
»Das mag vielleicht sein. Aber nicht von Sten.«
»Warum nicht?«
»Weil er unschuldig war.«
»Wie Sie?«
»Nein, nicht wie ich«, sagte Strandberg, und der klarblaue Blick, mit dem er aufsah, war nackter denn je.
»Denn Sie waren nicht unschuldig?«
»Er war vollkommen fixiert darauf. Sein ganzes Leben drehte sich darum, dass er
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