Dunkelziffer
mit der Jagd nach Penisknochen zu tun. Deshalb schien es klug, von zu Hause aus zu jagen. Außerdem konnte er mit dem Laptop auf dem Schoß im Bett sitzen. Er hatte gelesen, dass es den Spermien schaden könnte. Er hatte von Schriftstellern gehört, die ganze Bücher im Bett schrieben, mit dem Computer direkt auf dem Geschlechtsteil. Wie war es eigentlich um die Fortpflanzungsfähigkeit männlicher Gegenwartsautoren bestellt? Ein vernachlässigter Aspekt der Sicherheit am Arbeitsplatz.
Jedenfalls wäre es schwierig gewesen, auf diese Art Bücher zu schreiben, wenn man einen Penisknochen hat.
Viele Säugetiere haben Penisknochen, vor allem Raubtiere. Der Knochen hat die Aufgabe, eine Erektion zu garantieren, da die kurzen, hektischen Paarungsbegegnungen maximale Leistung in kürzestmöglicher Zeit erfordern. Man behauptet, den längsten Penisknochen habe das Walross, bei dem er bis zu einem Meter lang werden kann, während zum Beispiel der des Hamsters nur ein paar Millimeter misst.
In vielen Gegenden der Welt sind die Penisknochen der Tiere heilig. Man zieht sie auf Schnüre und trägt sie um den Hals, als Fruchtbarkeitsbringer.
Etwas über den menschlichen Penisknochen im Internet zu finden gelang Paul Hjelm jedoch nicht. Dagegen fand er auf verschiedenen UFO- und Science-Fiction-Seiten ein paar weitläufige Hypothesen über Penisknochen von Außerirdischen. In einer Zeit, da der Bedarf an Viagra und ähnlichen Präparaten offenbar unstillbar war, da die E-Mail-Postfächer der meisten Menschen täglich von Angeboten zur Penisvergrößerung und Erektionsverlängerung überquellen, müsste ein Penisknochen eine attraktive Alternative sein. Penispumpen in allen Ehren, aber was waren sie gegen einen reellen os penis ? Der wurde sozusagen nur hochgeklappt und hielt stand. Unabhängig von den Stimuli.
Trotzdem gab es keine menschlichen Penisknochen im Internet.
Paul Hjelm hatte vor Kurzem gelernt, dass ein >googol< eine scherzhafte Bezeichnung für eine sehr große Zahl ist, genauer gesagt für eine Eins, auf die hundert Nullen folgen. Und in der heutigen Zeit, wo das Verb >googeln< zu den hipsten im allgemeinen Sprachgebrauch gehört, gab es gute Gründe zu glauben, dass mindestens ein googol Websites im Internet standen.
Und tief, tief unten in der Liste von Googles Suchmaschine stieß er auf einen Bericht, eine Legende. Eine internationale Legende mit schwedischen Verbindungen.
Nachdem er einige Links in verschiedene Richtungen verfolgt hatte, zu schwedischen, deutschen, französischen, amerikanischen, russischen und sogar griechischen Seiten, begannen sich Paul Hjelm die Konturen einer Erzählung zu enthüllen, die sein Interesse immer stärker erregte.
Die Legende berichtet von einer reisenden Theatergesellschaft, die Anfang des achtzehnten Jahrhunderts im vom Krieg verheerten Europa von Stadt zu Stadt reist. Das war damals durchaus nichts Ungewöhnliches - Theatergesellschaften gab es im vorrevolutionären Mitteleuropa an allen Höfen und den meisten Adelssitzen, wenn sie nicht auf Märkten und Markt plätzen auftraten. Commedia-del-A rte-Gesellschaften gab es noch in großer Zahl, und französische Komödiantengruppen, die vor allem von Moliere inspiriert waren, hatten sich stark vermehrt.
Die Theatertruppe des Leopold Chamelle war jedoch nicht französisch, sondern eher international, und im Grunde war sie eine wenig erfolgreiche Gesellschaft mit mittelmäßigen Schauspielern aus allen Winkeln Europas. Doch was Chamelle an Talent fehlte, kompensierte er durch Geschäftssinn. Am Tag nach einer missglückten Vorstellung auf dem Marktplatz von Budapest stieß der Theaterdirektor auf einen Mann mit drei Armen, den er vor einem begeisterten Publikum auftreten ließ. Chamelle nahm ihn in Dienst - oder besser, er kaufte ihn, und im Verlauf der Theatervorführungen ließ er nun den Dreiarmigen als abschließenden Clou auftreten.
Ohne es zu wissen, hatte Chamelle The Freak Show geschaffen.
Plötzlich hatte die vorher so trostlos dahindümpelnde Theatertruppe Aufwind. Die Sammlung deformierter Menschen wurde größer und drängte die Schauspieler bald in den Hintergrund. Chamelles Theatergesellschaft wurde zu einer Freak-Gesellschaft. Nicht zuletzt bei Hofe ließ man sich bereitwillig von den Gebrechen der armen Krüppel in Schrecken versetzen, und Chamelle wurde ein geachteter und viel beschäftigter Mann, der seine Sammlung von Missgeburten ständig vergrößerte, um seine Auftraggeber mit immer heftigerem
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