Dunkle Beruehrung
dauert es nicht mehr lange, meine Schöne.
Jessa gab dem jungen Parkwächter ihre Schlüssel und bekam von ihm einen nummerierten Kontrollabschnitt und einen bewundernden Blick.
»Genießen Sie Ihr Essen, Ma’am«, sagte er und umrundete das Heck des Wagens.
Erst bringe ich meinen größten Auftrag unter Dach und Fach,
dachte Jessa beim Betreten des Restaurants,
dann lasse ich es mir schmecken.
Ein Oberkellner in elegantem Anzug begrüßte sie im Foyer wie eine First Lady und fragte nach ihrem Namen. Kaum hatte sie ihn genannt, sagte er lächelnd, dass ihr Tischgenosse bereits Platz genommen habe. Sie sah auf die Uhr, bevor sie dem Kellner in den Speisesaal folgte, doch sie war nicht zu spät dran, im Gegenteil: Sie kam – wie geplant – fünf Minuten zu früh.
Als die Eigentümer des
Cecile’s
ihr exquisites Restaurant von Paris nach Atlanta verlegten, sorgten sie für Aufsehen, weil sie darauf bestanden, das alte Mobiliar, die originale Kücheneinrichtung und sogar die Vorhänge ihres ursprünglichen Lokals mitzubringen. Nach einigem Gezerre mit der Arbeitssicherheitsbehörde wegen der Bauordnung und erforderlicher Lizenzen hatten sie ihre Erwartungen den Anforderungen angepasst, die in den USA an Geschäftsleute gestellt wurden, und dominierten seither die Edelgastronomie der Stadt.
Jessa war nie in Paris gewesen, doch im
Cecile’s
geschah das Unmögliche: Die Stadt kam zu ihr. Prächtiger, tiefroter Burgundersamt umrahmte durchscheinenden, portweinfarbenen, mit elfenbein- und bernsteinfarbenen Fäden bestickten Baumwollbatist und diente als Vorhänge, um das Gleißen der Mittagssonne abzumildern. Alte türkische Teppiche bildeten ein anmutiges Patchwork und verschwanden unter bodenlangen, eierschalenfarbenen Spitzentischdecken. Politur und jahrelange liebevolle Pflege ließen die rosa- und champagnerfarben gepolsterten Kirschholzstühle schimmern.
Eine vielschichtige Aromamischung stieg Jessa in die Nase: der helle Duft, der aus Vasen voller Schnittblumen aufstieg; das wohlriechende Bienenwachs der Kerzen, die in alten Wandleuchtern aus Messing brannten; die spritzige Fruchtigkeit des in Dutzenden Flöten perlenden Champagners.
An allen Tischen saßen Paare und kleine Gruppen vor Porzellangeschirr, redeten lächelnd miteinander und nahmen gesittet ihre Mahlzeiten zu sich. Jessa bemerkte rotbraune, in Wein und Schalotten geschmorte Stubenküken, leuchtend rote, mit raffiniert geschnitztem Gemüse garnierte Hummer in schimmerndem Aspik und zarte, pastellfarbene Soufflés, die auf der Gabel zu schweben schienen. Nicht ein Weinglas war leer – schließlich gehörte das Restaurant zwei Franzosen –, und kein Gast musste einen Kellner rufen, denn alle wurden so aufmerksam bedient wie Mitglieder des Hochadels. Und da Jessa in einigen Besuchern Prominente erkannte, vermutete sie, dass an diesem Ort die amerikanische Entsprechung zum Geburtsadel verkehrte.
Beim Gang durch diesen Tempel der Haute Cuisine dachte Jessa an das geschmacklose Essen aus der Mikrowelle, in dem sie am Vorabend gestochert hatte, und schämte sich beinahe. Sie mochte nicht so wohlhabend, mächtig oder einflussreich sein wie die Leute, die regelmäßig im
Cecile’s
speisten, aber sie war so erzogen, dass sie gut zubereitetes Essen zu schätzen wusste. Obwohl das Single-Dasein ihr das Kochen als reine Zeitverschwendung erscheinen ließ, könnte sie sicher mal ihre Schwenkpfanne und ihren Reiskocher entmotten und sich etwas Frisches zubereiten.
Der Oberkellner ging auf einen den Blicken entzogenen Ecktisch zu, wo ein gut aussehender Mann die nur aus einem Blatt bestehende Speisekarte studierte. Seinen italienischen Anzug hatte sie schon mal gesehen, nämlich an einem hippen jungen Filmstar, der neulich erst damit in Hollywood auf einem roten Teppich posiert hatte, doch trotz des allzu modischen Schnitts betonten das dunkelbraune Jackett und die kamelhaarfarbene Hose seine gleichmäßige Bräunung und das modisch gesträhnte Haar. Als er aufstand, verschob sich die Passform seines Jacketts so, dass Jessa einen durchtrainierten Körper darunter vermuten konnte. Ihr fiel auch auf, wie kurz er seine Nägel geschnitten hatte – genau wie Angela, die dadurch ihrer eingefleischten Gewohnheit vorbeugte, an den Nägeln zu kauen.
Entschlossen, nach neuester Mode gekleidet, auf Fitness versessen – das war Jessas erster Eindruck von Bradford Lawson.
Er zeigte ihr das herrlich ebenmäßige Gebiss einer mit Zahnspangen verbrachten Kindheit.
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