Dunkle Burg
einen finden. In jeder Generation werden ein paar geboren, die das Talent haben. Er wird einen oder eine finden und pflegen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Wir dürfen ihm die Zeit nicht lassen.«
Die Stabsversammlung sollte eine Stunde nach dem Essen stattfinden. Ich konnte bis dahin zur Arbeit am Graben hinuntergehen, würde aber gleich wieder umkehren müssen, und so meldete ich mich freiwillig zum Küchendienst. Ich musste etwas Nützliches tun. Ich fühle mich wirklich besser, wenn ich einer nützlichen Beschäftigung nachgehen kann. Tatsächlich macht es mir Spaß, Schwarzgeschirr auszukratzen, Asche zu tragen und mit Sand und eiskaltem Wasser Töpfe und Pfannen blank zu reiben.
In Wirklichkeit war das alles nur vorgeschoben. Arienne arbeitete in der Küche. Ein ziemlich großes, schlankes, aschblondes Mädchen mit graugrünen Augen, die durch einen hindurch sehen konnten. Wir waren zusammen weggelaufen, sozusagen. Vor Nathan. Mit Silvius. Und mit Meister Grames, auch sozusagen, der sich schon als Leiter von Nathans Kollegium der Magie gesehen hatte und den wir umgebracht hatten. Für seine Seele beteten wir täglich, wie es uns beiden zur Sühne auferlegt worden war. Ich hoffte, dass Arienne mir nach unserem Dienstjahr beim Orden die Ehre erwiese, mich zu heiraten. Wenn wir dann noch am Leben waren.
Ich hob die beiden ersten Töpfe auf und trug sie hinaus. Draußen bei der Pumpe stand ein hölzerner Waschbottich und daneben lag ein Sandhaufen. Das Ausscheuern von Töpfen ist entspannende Arbeit, bei der man nicht denken muss. Das Gleiche gilt jedoch nicht für Gespräche mit Arienne, den Göttern sei Dank.
»Was macht deine Seite?«, fragte ich. Sie rieb mit roten Händen wild an einem Schneidebrett. Ihre Bewegungen gaben nicht zu erkennen, dass sie Schmerzen hatte. Aber es lag nicht in ihrer Art, sie zu zeigen.
»Sie ist ganz gut. Kein Stechen, kein Zwicken.«
Bemerkenswert. Vor fünf Monaten hatte sie einen Armbrustbolzen zwischen die Rippen bekommen. Ich klatschte Sand in den ersten Topf und scheuerte mit einem Stück Leder.
»Gut. Hast du in letzter Zeit mit Unterirdischen gesprochen?«
Sie grinste. Es war eine Art stehende Redensart unter uns. Arienne hatte nicht nur das Talent, sondern sie verstand auch mit den Kobolden zu sprechen, wie unsere unhöfliche Bezeichnung der Unterirdischen lautet. Sie nennen uns ihrerseits die ›Sonnenleute‹, wenn sei höflich sein wollen, und haben einen Ausdruck, der ›Termiten‹ bedeutet, wenn sie es nicht sein wollen.
»Ja«, antwortete sie. »Sie werden das Lampenöl auf Kredit liefern.« Ihr Lampenöl war neben weißem Phosphor und anderen Ingredienzen ein Bestandteil des flüssigen Feuers, dessen vollständiges Rezept zu den bestgehüteten Geheimnissen des Ordens gehörte. Und sie lehnten die Anregung, uns die Benutzung ihrer Gänge zu erlauben, nicht rundheraus ab. Sie wollten uns nur nicht sagen, wo die Eingänge sind. Das kann ich ihnen nicht verdenken.«
»Das Eine können wir nicht ohne das Andere haben.«
»Nein.«
»Werden sie sich überreden lassen oder nicht?«
Sie biss sich auf die Unterlippe. »Das weiß ich nicht. Allmählich beginnen sie mir zu vertrauen, aber der Orden… nun, das ist eine andere Sache.«
»Wir könnten ihre Kenntnisse und Fähigkeiten im Bergbau gut gebrauchen.«
»Ich weiß. Aber sie werden uns das entweder von sich aus anbieten, oder wir werden uns ohne es behelfen müssen.« Ihr Tonfall machte klar, dass daran nicht zu rütteln war.
»Amen«, sagte ich.
Eine seltsame Ironie. Arienne hatte das Talent. Sie konnte die Unterirdischen nach Belieben lenken, ohne dass diese sich dagegen zu wehren vermochten. Ihr Verstand war nicht wie der unsrige. Sie konnten sich untereinander durch Gedankenlesen verständigen, zumindest bis zu einem gewissen Grade, und weil die Tore ihres Bewusstseins offen standen, konnten sie auf der Gefühlsebene von jemandem, der über das Talent verfügte, gelenkt werden. Darum erschienen sie in den Armeen jedes Meisters der Schwarzen Magie, und aus dem gleichen Grund hatte der Orden sie verfolgt.
Doch die Erzwingung von Gefügigkeit war das Wesen des Dunkels. Arienne hatte einmal den Kitzel erlebt, das Dunkel zu gebrauchen. Und ich war es gewesen, der sie dazu gedrängt hatte, zu meiner Schande und der Gefahr für meine Seele. Nie wieder.
Nicht für sie, nicht für mich. Eher würden wir sterben. Eher würde sogar jeder den anderen sterben lassen.
Ich sah sie von der Seite an. Sie war mit
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