Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)
werden. Offensichtlich war auch, dass es ihr besser ging. Aber was würde geschehen, wie würde er reagieren, wenn sie ihm sagte um wie viel besser? Warum hatte sie ihm überhaupt diesen Quatsch erzählt, dass ihr Vater bei der amerikanischen Botschaft arbeitete? Weil sie einem armen Deutschen nicht beladen mit all dem Luxusgepäck ihrer Herkunft begegnen wollte? Vielleicht. Aber vielleicht hatte sie einfach nur Angst gehabt, dass sie selbst, ganz allein, unvergoldet, für ihn nicht reizvoll sein würde. Sie kannte ihn schon sehr gut. Seinen scharfen Verstand, seinen feinen Zynismus und die undeutsche Vorliebe für schwarzen Humor. Sein unverhohlenes Verlangen nach Sex, aber auch nach kindlicher Zärtlichkeit und seine übergroße Verletzbarkeit, geschürt durch den leicht verwundbaren Stolz eines armen Mannes. Sie musste ihm ganz einfach die Wahrheit sagen und ihm erklären, warum sie so gehandelt hatte. Bald. Sobald sich die kleinste Möglichkeit ergab. Bestimmt. Bis dahin sollte alles, einfach alles noch einmal so sein wie gestern und vorgestern und vorvorgestern.
*****
Roberts Anruf kam am Vormittag: „Jayata, wir treffen uns heute Abend nicht im Hotel. Wir sind eingeladen, zu den Stauchs, nach Zehlendorf. Es wird dir gefallen. Sie führen nicht nur ein großes Haus, sie sind auch sehr interessante Leute. Ich werde schrecklich mit dir angeben.”
Sie hatte zugesagt, mit gemischten Gefühlen. Harry war nach London abgereist und würde erst in drei Tagen wiederkommen. Der Name Stauch sagte ihr nichts, und gleich darauf stand sie ratlos vor ihrem Kleiderschrank. Keine Frage, ihre Garderobe war jeder großen Gesellschaft gewachsen. Aber das stand hier nicht zur Debatte, nicht wahr? Die Töchter von einfachen Botschaftsangestellten und die Freundinnen von kleinen Parteisekretären trugen keine schillernden Abendroben von Worth. Sie war schon am hintersten Ende des Schranks angelangt, als sie den schwarzen Anzug liegen sah. Er war vom Bügel gerutscht und sie hätte ihn um ein Haar übersehen. Könnte der vielleicht…? Sie hob ihn auf und legte ihn auf das Bett. Er war von Alize, genauer gesagt aus dem Babelsberger Filmstudio. Sie hatte ihn letzte Woche mitgebracht, und Jayata hatte ihn ihr sofort abgekauft. Da war sie, die endgültige modische Emanzipation der Frau. Der allerletzte Schrei, bisher nur einer kleinen Elite vorbehalten. Sie zog den Anzug an, schlüpfte in ein paar schwarze Pumps von bedenklicher Höhe, mit Robert an ihrer Seite konnte sie sich auch das endlich erlauben und betrachtete sich im Spiegel. Er zeigte eine mondäne junge Frau. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie von sich s elbst ganz und gar hingerissen.
Karl, der Sohn der Köchin, fuhr sie nach Zehlendorf. Er schnupperte ihr französisches Parfum und schielte ein ums andere Mal zu ihr hinüber, wenn es der Verkehr erlaubte. Schließlich konnte er nicht mehr an sich halten: „Also Frollein Jayata, wenn ick det mal so salopp sagen darf, det Teil is wirklich Spitze, wat Se da anhaben. Wie een Filmstar! Ehrlich!”
Sie lachte ihn an, beugte sich zu ihm hinüber und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, was den Horch gefährlich schlingern ließ. Als Karl und das Auto sich wieder gefangen hatten, nahm sie ihm das Versprechen ab, niemandem zu erzählen, wohin er sie gefahren hatte. Sie hatte allen erzählt, dass sie für die nächsten beiden Tage bei Alize sein würde.
„Hast du das verstanden, Karl? Ich zähle auf Dich.”
„Det könn se, Frollein Jayata, ehrlich.” Er schniefte und fuhr sich mit dem Finger über und in die Nase. „So, jetzt sind wa gleich da. Det muss det Haus sein. Janz schön vornehm. Is ja beleuchtet wie een Tanzschiff uff de Spree.”
Jayata stieg in sicherer Entfernung aus und ging zu Fuß, vorbei an der langen Schlange von Fahrzeugen, die durch das behäbige schmiedeeiserne Tor, hinauf zum Eingang kroch. Bengalische Lichter loderten zu beiden Seiten der Auffahrt und gaben der betulichen Parkanlage einen dringend benötigten Hauch von Inspiration. Das Haus selbst passte sich in seiner Mittelmäßigkeit ganz dem Garten an. Groß und mächtig war es, mit einem Dach, steil wie ein hochgeschnürter Altweiberbusen, schaute es matronenhaft zwischen grünen Fensterläden auf den illustren Besucherstrom. Die vielen Zimmer waren hell erleuchtet. Mit seinem kokett verteilten falschen Fachwerk und den vielen Erkern und Anbauten erinnerte es an eine in die Breite gegangen Landfrau in Sonntagstracht. Jayata ahnte
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