Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)
nicht recht, wie sie ihre Scheu vor der beginnenden Vertrautheit überwinden sollten. Schließlich gab es jetzt keinen Vorwand mehr. Heute trafen sie sich nicht wegen eines Vortrags, sondern weil si e einander wiedersehen wollten.
Sie gingen in die Gärten von Sanssouci. Erträumt und verwirklicht als Zufluchtsort für einen einsamen Mann, der König sein musste, und der dieser verhassten Pflicht mit solch preußischer Selbstverleugnung nachkam, dass er in die Geschichtsbücher als „der Große” einging. Friedrichs Gärten lagen noch in bräunlicher Winterruhe. Gottheiten, Faune und Nymphen warteten mit steinerner Geduld auf ihre Befreiung aus den engen Holzverkleidungen. In den leeren Brunnen wirbelte noch ein wenig Herbstlaub, das den Rechen der Gärtner im Herbst entwischt war. Robert erzählte Jayata vom siegreichen Soldatenkönig, der Sonette komponierte und der Philosophie Voltaires so zugetan war. Er führte sie kenntnisreich durch die Rokoko-Welt des Baumeisters Knobelsdorff, der Friedrichs Phantasien und Sehnsüchte so genial umgesetzt hatte. Sie waren vor dem chinesischen Teehaus angekommen. Es war schon spät, und der Park hatte sich bis auf ganz wenige Spaziergänger geleert. Robert hatte seinen Mantel angezogen und die Gelegenheit ergriffen, seinen Arm wärmend um Jayata zu legen.
„Und Du meinst wirklich dass Friedrich diesen Katte geliebt hat?” fragte sie in die Stille der schnell fallenden Dämmerung.
„Ja, das meine ich. Friedrich wollte mit Katte fliehen, als er noch Kronprinz war. Sein Vater hat sie beide in Küstrin einsperren lassen und Katte vor Friedrichs Fenster den Kopf abschlagen lassen. Der Alte fürchtete die Liebe der jungen Männer. Du wirst das natürlich in keinem Geschichtsbuch als Erklärung finden. Nicht in unserer Zeit, vielleicht später, wenn die Menschen einmal nicht mehr so verlogen sind.”
Jayatas Gemüt war durch die Wechselbäder der letzten Tage hoch stimuliert, so dass Glücksgefühle und Zweifel sich die Klinke an der Tür zu ihrer Seele in die Hand gaben. Aber sie spürte auch eine drängende Entschlossenheit. Umdüstert und gleichzeitig inspiriert von der tragischen Liebesgeschichte sagte sie leise zu dem Mantelkragen über ihr: „Es muss schrecklich sein, so eine Liebe zu versäumen.”
„Ja. Es gibt nichts Schrecklicheres.”
„Dann solltest du mich jetzt küssen. Es gibt keinen Grund zu warten.”
*****
In den folgenden Wochen verfeinerte sich Roberts englisches Vokabular um Nuancen, die in keinem Lexikon zu finden waren, eifrig rekapituliert mit einer hingebungsvollen Lehrerin in den Laken des schmalen Hotelbetts von Zimmer 11 in der Potsdamer Pension Hansa. Wenn er plötzlich mitten am Tag, bei der Arbeit, daran dachte – und das geschah eigentlich ständig – dann stieg ihm das Blut mit Macht nicht nur in den Kopf. Er begehrte Jayata in einem Maß, das ihn in klareren Momenten erschreckte, und er ahnte auch warum. Ihre Leidenschaft war getrieben von der Gefahr des Verlustes. Ihr Vater arbeitete aushilfsweise an der amerikanischen Botschaft und das bedeutete, dass sie nicht in Berlin bleiben würde. Diesen Gedanken sprachen sie aber niemals aus. Überhaupt führten sie keine Konversation über die Zukunft, sprachen nicht über ihre Familien oder ihre Vergangenheit. Sie teilten ihre Zeit niemals mit anderen Menschen und konzentrierten sich allein auf den Mikrokosmos dieser unerwarteten Liebe. Einmal errechnete Robert mit ihrem Augenbrauenstift auf Jayatas Bauch, wie winzig die statistische Wahrscheinlichkeit ihres Zusammentreffens tatsächlich gewesen war. Das Ergebnis war erschreckend. Drei Wochen lebten sie nun schon in diesem absoluten Ausnahmezustand. Robert erzählte seiner Mutter, er müsse auf eine längere Wahlreise in die Provinz und mietete sich in dem schäbigen Zimmer in der Potsdamer Pension Hansa ein. Jayata erklärte ihre fast täglichen Ausflüge dorthin mit den Englischstunden, die sie ihrer neuen Freundin Alize gab, damit diese eine bessere Chance hätte, als Kostümbildnerin nach Amerika auszuwandern. Tatsächlich war Alize der einzige Mensch, den Jayata ins Vertrauen gezogen hatte. Und dass sie sich angefreundet hatten, war ja auch keine Lüge.
Wenn Jayata allein war, riss dieser berauschende Film manchmal, und eine lähmende Furcht ergriff sie. Sie musste Robert die Wahrheit sagen. Sie musste ihm sagen, wer sie wirklich war. Roberts Armut war offensichtlich und brauchte nicht in peinlichen Gesprächen diskutiert
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