Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)
Ich kann mich genau an dieses Gefühl erinnern. Ich musste einfach alles über diese Steine wissen, wenn ich sie schon nicht haben konnte. So ähnlich, wie wenn man eine unerreichbare Frau liebt.”
Jayata wechselte aus der Haltung der gespannten Zuhörerin in eine distanzierte, wachsamere Sitzstellung.
„Meine Eltern wussten natürlich wenig über diesen, ihrer Meinung nach überflüssigen Tand. Vater kramte aus seinem Langzeitgedächtnis noch ein paar Binsenweisheiten aus seiner Schulzeit hervor, aber das reichte mir nicht. Mutter hatte die Befürchtung, ich könnte auf die schiefe Bahn geraten, kein Apotheker werden, sondern ein halbseidener Diamantär, der den Mammon bedient. Aber es half alles nichts. Ich war von meiner Leidenschaft nicht abzubringen. Also schenkte mir mein Vater, nur um seine Ruhe zu haben, zum Geburtstag mein erstes Buch über Edelsteinkunde. Im Laufe der Jahre folgten zahllose andere. Es blieb natürlich nicht bei einer kindlichen Bewunderung der Steine. Mit dreizehn war ich tief eingetaucht in die Mineralogie und alle Naturwissenschaften, die mit ihr verbunden sind. Ja, und so ist es eben bis heute geblieben.” Er hob mit einer Geste der Entschuldigung die Hände: „Ich habe nicht den Drang, sie zu besitzen. Aber ich will sie verstehen bis auf den Grund.”
„So tief, dass Sie sie eines Tages selbst erschaffen können! Genaue Ebenbilder von natürlichen Steinen, nicht zu unterscheiden in ihrer Perfektion.” stellte Jayata fest. „Jetzt verstehe ich auch, warum Sie der Bridgman Vortrag so mitgerissen hat. Glauben Sie denn wirklich, dass man mit seiner Technologie Diamanten machen kann? Warum hat er es dann selbst noch nicht getan?”
„Weil ihm noch etwas fehlt, Jayata!” Robert tauchte mit neu geweckter Lust wieder in seine wissenschaftlichen Gedankenspiele ein.
„Pass auf …” er war so eifrig bei der Sache, dass er sie duzte. Jayata wusste um den großen Unterschied, den das kleine Wort in der deutschen Sprache machte und rutschte aufgeregt jetzt wieder näher an die Tischkante heran. „Er hat Druck und er hat Hitze. Es gibt zwei mögliche Gründe, warum es noch nicht geklappt hat: Erstens, er hat noch nicht genug Druck und Hitze, das steht schon mal fest. Und zweitens, es fehlt eine dritte Komponente, wahrscheinlich ein Katalysator.” Das kam im Brustton der Überzeugung.
Katalysator, … Katalysator … Jayata suchte im Geist nach den gespeicherten Resten ihres Chemieunterrichts. Bingo – da war es! Nun würde sie doch noch einen wirklich gescheiten Beitrag zum Gespräch leisten können: „Also ein Katalysator. Ein Element, das eine chemische Verbindung auslöst, aber nicht in ihr aufgeht.” Ein überraschter und anerkennender Blick salbte ihr lädiertes Selbstbewusstsein. Ein Katalysator – was für ein durch und durch wunderbares Phänomen der Natur!
„He, nicht schlecht! Du bist ja eine richtig spannende Gesprächspartnerin.” Bei diesen Worten packte er den vorbei eilenden Kellner am Ärmel und zwang ihn, seine Bestellung aufzunehmen. Als das Bier und die Zigaretten angekommen waren, riss er die Packung auf, klopfte eine heraus und zündete sie an. Er lehnte sich weit zurück, inhalierte den Rauch mit einem tiefen, erlösten Atemzug, ohne sie eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Dann sagte er lächelnd: „Theoretisch hättest du schon vor einer halben Stunde vor Langeweile das Weite suchen müssen.” Jayata wusste nicht, was sie ihm antworten sollte und wünschte sich plötzlich, sie würde auch rauchen und sich an einer Zigarette festhalten können. Als zweitbeste Lösung bot sich im Augenblick nur das Bierglas an. Also griff sie danach und kippte das halbe Glas auf einen Zug. Robert folgte ihrem Beispiel, denn auch er wusste auf einmal nicht, wie er das eigenartig beredte Schweigen überbrücken sollte.
„Schmeckt es Dir? Das ist Berliner Weiße mit Himbeersaft.”
*****
Sie sah ihn schon von Weitem, als er auf der anderen Straßenseite um die Ecke bog. Er hatte den Mantel ausgezogen und nachlässig über die Schulter geworfen. Es war der erste sonnige Tag des neuen Frühlings. Im Unterschied zu den anderen Männern auf der Straße trug er auch keinen Hut, und Jayata konnte, verborgen hinter einer Litfaßsäule, eine Weile mit ungezügelter Lust seinen wohlgeformten Kopf mit dem für sie so erotischen blonden Haar betrachten. Sie begrüßten sich ein wenig verlegen, flüchteten sich zuerst in freundschaftliche Höflichkeit und wussten
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