Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)
ließ Ida und ihr kleines Kind zurück in der Heimat und hoffte, sein Asthma im warmen Wüstenklima auszukurieren. Damals, von Neumark in Thüringen aus, stellte er sich die Wüste jedenfalls noch so vor. Er sollte mit seinen Streckenarbeitern einen Abschnitt von neun Kilometern vom Sand der Namibwüste freihalten. Sein Quartier schlug er in einer Wellblechhütte an einer Haltestelle mit Namen „Grasplatz” auf. Die Herkunft des Stationsnamens blieb für alle Zeit ein Rätsel, da weit und breit niemals auch nur der kleinste Grashalm gesichtet wurde .
Seine Berührungspunkte mit dem unwirtlichen Land waren gering, aber der einsame Eisenbahner machte aus der Not eine Tugend. Er fing an die Wüste zu erkunden, schärfte das Auge für ihre Schönheit, für ihr verborgenes Leben, ihre sorgsam gehüteten Geheimnisse. Bis er eines Tages – wie genau wusste eigentlich niemand, es kursierten da die verwegensten Gerüchte – auf ihren größten Schatz stieß. Er fand Diamanten im Sand. Anders als viele Glücksritter im afrikanischen Diamantrausch handelte er schnell und sicherte sich gleich zu Anfang zusammen mit ein paar zuverlässigen Partnern die besten Claims auf den aluvialen Diamantfeldern, von denen sich später herausstellte, dass sie die ergiebigsten der Welt waren. Sehr zum Leidwesen der südafrikanischen Diamantbarone des allmächtigen DePass Syndikats in Kimberley, der größten Diamantmine der Welt. Argwöhnisch verfolgten die mächtigen Randlords Stauchs Erfolg, und der Strom von Spionen, Aufkäufern, Unterhändlern und Galgenstricken, die von Kimberley an die raue Atlantikküste der deutschen Kolonie geschickt wurden, nahm kein Ende. Als sie bereits alle Hoffnung aufgegeben hatten, diese lästige deutsche Laus in ihrem kostbaren afrikanischen Pelz loszuwerden, kam ihnen der Kanonen donner des Weltkriegs zu Hilfe. Die Arbeit auf den Diamantfeldern in Südwest kam zum Stillstand. Alle wehrtauglichen Männer der deutschen Kolonie wurden zu den Waffen gerufen.
Stauchs Asthma, das auch in Afrika nicht vollständig verschwunden war, erwies sich noch einmal als Segen. Er konnte den Krieg nach einem kurzen, ersten Einsatz in Mazedonien in einer Heidelberger Armeeschreibstube aussitzen, während Ida in Berlin auf dem englischen Rasen der Zehlendorfer Villa Kohlköpfe, Zwiebeln und Kartoffeln pflanzte. Als große Teile von Europa nach vier Jahren gründlich verwüstet, Millionen von Soldaten gefallen, sterbenskrank oder entstellt waren, lag nicht nur der Verlierer Deutschland auf den Knien, sondern mit ihm auch die meisten anderen europäischen Volkswirtschaften. Ausgeblutet und von der Kriegswirtschaft an den Rand des Ruins gebracht, schlingerten sie in einem gefährlichen Zickzackkurs zwischen Geldentwertung, Arbeitslosigkeit, Hunger und Mangel dahin. Das einzige, was auf diesem Nährboden von Monat zu Monat prächtiger ins Kraut schoss, war der Bolschewismus mit der Verheißung von wahrer Gleichheit und proletarischem Glück, durch die Entmachtung des Großkapitals und die gerechte Herrschaft der Arbeiterklasse.
Der Verlust der afrikanischen Kolonien war unter diesen Umständen wirklich die allerletzte Sorge, die den versprengten Politikerhaufen im Reichstag von Berlin quälte. Seine Majestät, der zackige Wilhelm Zwo, hackte jetzt als Privatmann Holz auf einem Landsitz im holländischen Exil, und seine bürgerlich demokratischen Nachfolger saßen ratlos auf den Scherben seiner großartigen Kriegsnation oder irrten in wildem Aktionismus darin herum. Der Kuckuck sollte diese afrikanischen Einöden holen. Sollte sie doch nehmen wer wollte, die Engländer, die Südafrikaner, die Amerikaner, was machte das jetzt noch für einen Unterschied?
Für August Stauch machte es den alles entscheidenden Unterschied. Das ehemalige Deutsch-Südwest war nun südafrikanisches Mandatsgebiet, und ganz anders, als der formidable Wilhelm im Falle eines Sieges umgekehrt verfahren wäre, hatten weder Pretoria, noch die Übermutter London Lust, sich die Minengesellschaften ans staatliche Bein zu binden. Auch hier hatte man ganz andere Sorgen, und die gesunde angelsächsische Auffassung, dass die Wirtschaft in Privathände gehöre, hatte sich auch über den Weltkrieg hinweg retten können. Was Stauch mit großer Sorge erwartet hatte, trat nicht ein. Die deutschen Diamantbarone von Südwest wurden nicht enteignet, als die Kolonie 1915 von Südafrika besetzt wurde. Zwei Jahre später, als der Krieg noch ungebremst in Europa tobte, durften
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