Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)
sich zurück an die Stuhllehne und starrte sie mit einem unfokussierten Blick an. „Sie haben recht. Genau das tue ich. Ich habe mich verstrickt in einem Knoten von wirklichen und eingebildeten Verlusten, von Überdruss und Verzagtheit. Und wenn ich denke, ich hätte den rettenden Einfall für den großen Befreiungsschlag, auswandern, prospektieren in der Wüste, aktiv in der Partei werden, nicht nur Befehle ausführen, was auch immer – ich finde tausend Gründe, warum gerade mir das nicht möglich ist. Ich stehe mir selbst im Weg. Mein größter Feind bin ich selbst.”
Er hatte das zuvor noch nie so deutlich gesehen, geschweige denn ausgesprochen. Er schüttelte resigniert den Kopf. Ihre Selbstsicherheit wuchs im gleichen Ausmaß, wie sich die von ihr zusammenphantasierte Lichtgestalt verflüchtigte, und der reale Robert von Wolf zum Vorschein kam. Er war kein Wissenschaftler. Er war kein Draufgänger im Berliner Nachtleben. Er war ganz einfach ein verlorener Mann, so wie hunderttausend andere in diesem Land. Strandgut. Und sie hatte es gefunden.
„Aber wenn sich Ihre finanzielle Lage ändern würde, könnten Sie doch sicher ein Studium beginnen?”
„Ich bin jetzt 27 Jahre alt, die würden sich totlachen an der Universität. Ich dürfte mich in diesem Alter wahrscheinlich gar nicht mehr einschreiben. In Deutschland geht man da mit 18 Jahren hin, nach dem Abitur oder überhaupt nicht mehr. Man wechselt seinen Beruf nicht, genauso wenig verkauft man sein Haus. Man wird einmal, am Anfang seines Lebens, auf die Schienen gesetzt, und da bleibt man, bis man ins Grab sinkt. Verstehen Sie denn nicht, es gibt hier keine zweite Chance.”
„Sie bleiben wegen Ihrer Mutter in Deutschland, oder? Sonst hätten Sie doch sicher auch einmal daran gedacht, nach Amerika zu gehen.”
„Meine Mutter ist finanziell vollkommen auf mich angewiesen. Vater hatte unser Vermögen in sogenannten ‚mündelsicheren Papieren’ angelegt. Da war er in guter Gesellschaft mit seinem ganzen Bekanntenkreis. Er war Apotheker, und unsere Familie gehörte genau zu den Leuten, die ich vorhin beschrieben habe. Woher sollte ich das sonst wissen? Die Papiere sind natürlich restlos der Geldentwertung zum Opfer gefallen. Und mit ihnen ging praktisch eine ganze Gesellschaftsschicht unter.” Er hatte keine Zigaretten mehr, und das aufgeheizte Gespräch verlangte nach Rauch und Nikotin. Er fühlte nervös in seinen Jackentaschen umher und versuchte Blickkontakt mit dem Kellner zu bekommen.
„Sie passen aber nicht auf diese Beschreibung. Waren Sie denn immer schon ein Außenseiter, oder sind Sie es erst durch den Krieg geworden?”
Er gab das zwecklose Buhlen um den Kellner auf.
„Hm, ich glaube schon. Ja, doch! Bestimmt!” Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, und Jayata sah erleichtert, dass sein Weltschmerz von freundlicheren Gedanken abgelöst wurde. „Warten Sie, ich erzähle Ihnen eine Geschichte von mir, als ich so acht oder neun Jahre alt war. Also, wir haben uns zu Hause in keiner Weise von den Leuten unterschieden, die ich Ihnen gerade beschrieben habe. Wohnung in einem Schinckel-Haus, im ersten Stock, über der Apotheke. Wir hatten alles, was man zu einem anständigen Leben braucht. Aber für Ästhetik, Kunst oder gar Luxus reichten die Mittel nicht, und deshalb waren solche Dinge verpönt. Man konzentrierte sich auf eingelegte Heringe, den Braten am Sonntag, robuste Eichenmöbel und auf die inneren Werte. Mutter trug immer grau oder dunkelblau. Ihr einziger Schmuck war der Ehering, ein Paar goldene Ohrstecker mit Korallen und eine dünne Perlenkette, die schlecht aufgefädelt war. Vater hatte zwei Anzüge zum Wechseln für die Woche, unter seinem Apothekerkittel hielten sie praktisch sein ganzes Leben. Am Sonntag trug er einen Cut mit Zylinder, den er jedes Mal gleich nach dem Kirchgang auszog. Manchmal am Sonntag gingen wir auch in der Stadt spazieren. Wir kamen an eleganten Geschäften vorbei, in die meine Eltern niemals im Leben einen Fuß gesetzt hatten. Teure Modesalons, feine Herrenausstatter, luxuriöse Möbelgeschäfte und natürlich die Juweliergeschäfte mit ihren strahlenden Schätzen. Dabei versetzten mich besonders die Auslagen der Juweliergeschäfte in helle Aufregung. Meine Eltern überzog ich mit tausend Fragen nach den Namen der blauen, rosaroten, gelben, violetten und weißen Steine in ihren wunderschönen Fassungen. Ich wollte wissen, wo sie herkamen, wie man sie finden konnte, wie sie entstanden waren.
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