Dunkle Ernte
nahe Verwandte.«
»Danke, Mary.« Vielleicht, überlegte Sir Clive, hatte es da irgendwann einmal eine Namensänderung gegeben, einen Versuch, die alte Identität abzustreifen. Das kam oft vor, wenn jemand aus den Special Forces ausschied. Dabei ging es weniger um die persönliche Sicherheit als darum, mit der Vergangenheit abzuschließen und als Zivilist ein neues Leben zu beginnen.
Es klopfte an der Tür. »Sir Clive, wir haben die Aufzeichnungen des Taxiunternehmens eingesehen. Die Zielpersonen fahren zum Addenbrooke’s Hospital, Forschungsabteilung«, berichtete mit strahlendem Gesicht der junge Mitarbeiter von der Informationsauswertung, der aussah, als brauche er noch keinen Rasierer.
Sir Clive nickte. »Danke«, sagte er. »Lassen Sie den Helikopter fertigmachen, ich werde selbst gehen. Mary, Sie halten hier die Stellung. Vielleicht müssen Sie später noch etwas für mich überprüfen.«
Aufgrund der Bilder, die er gesehen hatte, war Sir Clive wenig geneigt, die anstehende Aufgabe anderen zu überlassen. Jack und das Modul in die Hände zu bekommen erforderte mehr als nur brutale Gewalt. Er zog sein Telefon aus der Tasche.
»Ed, ich fliege jetzt mit dem Helikopter nach Cambridge, zum Krankenhaus. Die Zielperson ist ebenfalls auf dem Weg dorthin. Sie heften sich unterdessen an den British-Gas-Transporter. Ich ermächtige Sie hiermit, sämtliche erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, einschließlich sich fremdes Eigentum anzueignen, wenn es sein muss. Lassen Sie nur das Fahrzeug nicht aus den Augen.«
»Wird gemacht, Sir Clive«, kam prompt die Antwort.
Ed saß bereits hinter dem Steuer eines Ford Fiesta und folgte dem Transporter über die Ringstraße und aus der Stadt hinaus. Das Problem in einer Studentenstadt war, dass überall nur alte Klapperkisten herumstanden. Aber der Verkehr war ohnehin so stark, dass man nicht schnell fahren konnte.
Ahmed Seladin zog den Faden fest, verknotete das Ende und tupfte den Schnitt mit Desinfektionsmittel ab, ohne sich durch das Holpern des Transporters über Schlaglöcher stören zu lassen. Es war seine dritte Naht seit dem Debakel vor dem Haus. Er lehnte sich zurück, um sein Werk zu bewundern.
»Sie haben Glück, ich bin ein hervorragender Chirurg«, sagte er. »Die Narbe wird kaum zu sehen sein.«
Insgeheim war er ziemlich stolz auf seine Arbeit. Der Laderaum eines fahrendes Transporters war nicht gerade ein geeigneter Ort für eine diffizile Operation, zumal der Boden vom Blut nass und glitschig war.
Sein Patient war zu schwach, um zu antworten. Ahmed war nicht sicher, ob er überleben würde, jedenfalls nicht ohne Bluttransfusion. Doch das bereitete ihm keine Sorgen. Ihn beunruhigte vielmehr der Gedanke daran, wie der Chinese reagieren würde, wenn er erfuhr, dass die Aktion gescheitert war.
11
Das Taxi hielt vor dem Krankenhaus. Jack öffnete die Tür und stieg aus. Erst in diesem Moment fiel ihm auf, dass er nicht einen Cent bei sich trug.
»Hast du Geld dabei?«, fragte er Amanda verlegen.
Mit einem Nicken reichte sie dem Fahrer eine Zwanzigpfundnote, mit der Bemerkung, er dürfe den Rest behalten und solle sofort vergessen, dass er sie befördert habe. Nach Jacks Ansicht war das nicht unbedingt die klügste Strategie. Der Taxifahrer würde sich gewiss besser an Fahrgäste erinnern, die großzügig mit Trinkgeld umgingen und eigens darauf hinwiesen, dass sie vergessen werden wollten, als an die vielen anonymen Gesichter, die er sonst durch die Gegend fuhr. Aber er schwieg. Amanda steckte durch ihn schon genug in Schwierigkeiten.
Während der Fahrt hatten sie kein Wort gewechselt. Jack hatte ihre Hand gesucht und besorgt festgestellt, dass sie eiskalt war. Amanda hatte seine Berührung kaum wahrgenommen und nur mit leerem Blick geradeaus gestarrt, wie durch eine Glasglocke von der Außenwelt getrennt. Jack überlegte, was er sagen sollte, aber es fiel ihm nichts Sinnvolles ein.
»Du warst toll, Amanda, absolut fantastisch«, sagte er schließlich.
Sie blickte weiter ins Leere, als hätte sie ihn nicht gehört. Der Schock saß tief. Der Schock darüber, wie sie selbst auf die Angreifer reagiert hatte, genauso hart, wie es die Situation erforderte. Der Schock über Jacks Seelenruhe und seine offensichtliche Fähigkeit, solche Dinge mit einem Achselzucken wegzustecken. Vor allem aber der Schock über seinen Gesichtsausdruck in dem Moment, als er sie zurück ins Haus gezerrt hatte, ehe die Tür vor ihr zufiel. Über das leichte Lächeln auf seinen
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